Zurück

17.09.2001

Quelle:Michael Kalbow

Dateianlage zum Download: 11/fahrgast_hasselt.gif

Nulltarif in Hasselt, Belgien

Textauszüge aus "Wirkungsanalyse des Nulltarifs im ÖPNV am Beispiel der Stadt Darmstadt"

Als Hauptstadt der belgischen Provinz Limburg, einige Kilometer hinter der deutsch-belgischen Grenze gelegen, ist Hasselt mit seinen rund 70.000 Einwohner mehr als vier mal so groß wie die beiden oben betrachteten Städte Templin und Lübben. Auch der Tourismus spielt hier eine Rolle, jedoch liegt die Bedeutung von Hasselt als sechstgrößte Handelsstadt Belgiens und Universitätsstadt mit 40.000 Studenten auch zum großen Teil auf Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft.

Gerade wegen seiner Attraktivität ist Hasselt schon immer auch Ziel vieler Einpendler gewesen, was bedingt durch die gut ausgebaute Straßeninfrastruktur ein sehr hohes MIV-Verkehrsaufkommen mit sich brachte: Lärmpegel und Unfallzahlen reduzierten nicht nur die Lebensqualität, sondern bescherten Hasselt auch den Ruf der verkehrsgefährlichsten Stadt Limburgs, besonders im Innenstadtbereich.

Mit einem neuen Bürgermeister 1995 änderte sich dann auch die Verkehrspolitik mit Blick auf eine soziale und ökologische Orientierung: Anstatt mit dem Bau einer dritten Ringstaße zu beginnen, setzte die neue Stadtregierung im September 1996 mit einem Mobilitätsabkommen zwischen der Region Flandern, dem Verkehrsunternehmen "De Lijn" und der Stadt selber auf eine Trendwende vom MIV zum ÖPNV. Das Hasselter Stadtbusnetz wurde daraufhin im Sommer 1997 komplett umgestaltet und erweitert, ebenso die Bedienungsfrequenz und Angebotsdauer. Die Linienzahl stieg von vier auf neun, 36 Busfahrer fanden einen neuen Arbeitsplatz und die Anzahl der Fahrten pro Tag stieg von 84 auf 480, was in Jahreskilometerleistung der Busse ausgedrückt ein Mehr von 220% bedeutete. Die Abschaffung der Fahrpreise für alle Fahrgäste des Stadtbusnetzes und für die Einwohner der Stadt, auch bei Fahrten mit Regionalbuslinien auf dem Stadtgebiet, war dann eine weitere Maßnahme, die bisher in Europa zwar ausgiebig diskutiert, aber nie in die Praxis umgesetzt worden war. Dementsprechend groß war auch die Resonanz aus dem In- und Ausland, und die Auswirkungen auf das Image der Stadt durch diese kostenlose PR-Kampagne sind auch heute noch zu spüren.

Die Wirkungen der Maßnahmen versuchte eine Gemeinschaftsstudie der Hochschule für Verkehrskunde Diepenbeek und der Marketingabteilung der Provinzialen Hochschule Limburg rund fünf Monate nach Einführung von Nulltarif und neuem Netz zu erforschen: Die Mobilitätsrate (induzierter Verkehr) steigerte sich um 33%. Die restlichen zwei Drittel, die ohnehin einen Weg zurückgelegt hätten, kann man wie folgt unterteilen:

* 54,3 % benutzten auch vorher den Bus
* 22,8 % haben die Wege vorher mit dem Auto zurückgelegt
* 18,4 % legten die Wege zuvor mit dem Fahrrad zurück und
* 13,9 % sind vor der Einführung des Nulltarif zu Fuß gegangen.

Nach Angaben von Personen, die ihre Fahrten vom PKW auf den ÖPNV verlagerten, war der Ausbau des ÖPNV-Netzes und die Taktverdichtung der Busse der Hauptgrund für den Wechsel, während das Motiv "Gratisbenutzung" erst an zweiter Stelle genannt wurde.

Betrachtet man die Entwicklung der Fahrgastzahlen aus heutiger Sicht, so lassen sich ab dem Jahr des Netzausbaus und der Nulltarifeinführung erhebliche Zuwächse erkennen (Datei im Anhang)

Wie in Templin und Lübben übernimmt auch die Stadt Hasselt die Einnahmenausfälle durch den entfallenden Fahrkartenverkauf. Die Summe betrug 1999 umgerechnet rund 1506,97 Tsd. DM, was nur ca. 1% des Gesamtbudgets der Stadt ausmachte und einen Kostendeckungsgrad von 17% bedeutete. Bis Ende des Jahres 2001 streben Verkehrsbetriebe und Stadt einen Kostendeckungsgrad von 25% an. Den Ausgaben der Stadt für das Projekt stehen die gesparten Ausgaben von umgerechnet rund 72,726 Mio. DM gegenüber, die für den jetzt unterlassenen Bau des dritten Rings um die City bereits im Haushalt eingeplant waren. Aufgrund des Mobilitätsabkommens fließen jährlich noch einmal 6,30 Mio. DM vom Land Flandern zum Ausbau bzw. zum Erhalt der ÖPNV-Infrastruktur in das Projekt ein.

Zum Gesamtkonzept der neuen ökologischen Orientierung der Stadtpolitiker gehörte des weiteren auch noch der Umbau des innersten Ringes zu einem "Grünen Boulevard" um die schon zu diesem Zeitpunkt verkehrsberuhigte Innenstadt. Die vier Fahrspuren wurden auf zwei reduziert und für den MIV als Einbahnstraße gestaltet. Die Busse können den Ring nach wie vor in zwei Richtungen befahren. Eine breite Promenade gesäumt von Baumreihen lädt Fußgänger zum flanieren auf dem Boulevard ein und eine Extraspur berücksichtigt die Belange der Radfahrer.

An dieser Stelle kann vor dem Hintergrund der drei aktuellen Praxisprojekte festgehalten werden, dass nach der Nulltarifeinführung die Fahrgastzahlen erheblich angestiegen sind. Jedoch ist der Nettoeffekt der Preisreduktion nicht klar zu eruieren, da in allen Projekten der Start des kostenlosen ÖPNV mit einem zum Teil massiven Anstieg des Leistungsangebotes der ÖPNV-Netze einherging. Selbiges trifft auch auf Verlagerungen vom MIV auf den ÖPNV zu: Zwar hat es Verlagerungen gegeben, jedoch sind die, die durch den Nulltarif motiviert wurden, nicht klar herauszufiltern.

Anhang:
Entwicklung der Fahrgastzahlen in Hasselt von 1997 bis 2000
Quelle: Angaben der Stadt Hasselt

Dateianlage zum Download: 11/fahrgast_hasselt.gif

Kurz-URL:

Link teilen: Quelle twittern 

Zurück