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13.10.2004

Quelle:Verband öffentlicher Verkehr der Schweiz (www.voev.ch)

Volkswirtschaftliche Bedeutung des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz

Anlass und Ziel
Der öffentliche Verkehr steht mit der Fahrplanumstellung Ende 2004 im Rahmen von Bahn 2000 1. Etappe vor seinem bedeutendsten Angebotssprung. Gleichzeitig wird er immer mehr durch die finanzpolitische Brille beurteilt. Die Staatsausgaben für den öffentlichen Verkehr sind im Lichte der Spardebatte ein zentrales Thema. Die aktuellen Entlastungsprogramme des Bundes sehen denn auch massive Kürzungen vor. Dabei geht oft vergessen, welche volkswirtschaftliche Bedeutung der öffentliche Verkehr insgesamt und das Grossprojekt Bahn 2000 im Besonderen hat. Dies hat die wichtigsten Bahnen, den Verband öffentlicher Verkehr (VÖV) und das Bundesamt für Verkehr (BAV) veranlasst, eine Studie in Auftrag zu geben, die objektive Fakten für die heutige Situation zusammenstellt. Die Studie befasst sich mit dem gesamten öffentlichen Verkehr der Schweiz, vertieft aber insbesondere die volkswirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahnen.

Wertschöpfung und Beschäftigung als Nutzenmass
Die Ermittlung der volkswirtschaftlichen Bedeutung orientiert sich an einer gängigen Methodik und unterscheidet vier Effekte:

* Direkter Effekt: Nutzen der direkt im ÖV geleisteten Wertschöpfung (Transport­unternehmen).
* Indirekter Effekt: Nutzen aus den für den ÖV relevanten Vorleistungen.
* Induzierter Effekt: Multiplikatoreffekte der in den ersten beiden Effekten generierten Einkommen.
* Katalytischer Effekt: Nutzen, der privaten Haushalten und Unternehmen aufgrund ökonomischer Aktivitäten entsteht, die ohne ÖV-Leistungen nicht durchgeführt würden. Sie können in der Regel nur für einzelne Projekte berechnet werden (in dieser Studie im Fallsbeispiel Bahn 2000 1. Etappe).

2002: 7.8% des BIP sind im weiteren Sinn auf den öffentlichen Verkehr zurückzuführen
Der volkswirtschaftliche Beitrag des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz beträgt im engeren Sinn (direkte und indirekte Effekte, direkt kausal mit der Produktion verbunden) 10.9 Mia. CHF (2.5% des BIP) und im weiteren Sinn (inkl. induzierte Effekte) 33 Mia. CHF (7.8% des BIP) pro Jahr. Im engeren Sinn sind mit der Erbringung der Verkehrsleistung des ÖV gut 93’000 Vollzeitstellen verbunden, im weiteren Sinn rund 303’000. Anders formuliert:

* Mit einem Arbeitsplatz beim öffentlichen Verkehr sind 4.1 weitere Arbeitsplätze in der Volkswirtschaft Schweiz insgesamt verknüpft.
* Mit einem Franken Wertschöpfung beim öffentlichen Verkehr sind weitere
3.60 CHF Wertschöpfung in der Schweizer Volkswirtschaft verknüpft.

Rund 70% der volkswirtschaftlichen Bedeutung des ÖV stammt von den Eisenbahnen, 20% vom strassengebundenen öffentlichen Verkehr und 10% von den Spezialbahnen und dem Schiffsverkehr.
Die Abgeltungen sind aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht einfach Kosten für die öffentliche Hand. Mit den bestellten Verkehren stellt der Staat ein flächendeckendes Grundangebot sicher und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Mobilitätsvorsorge und zum regionalen Ausgleich. Auf eine Million Franken Abgeltung bei den Bahnen kommen 14 Arbeitsplätze direkt bei den Bahnen und 74 Arbeitsplätze in der gesamten Volkswirtschaft.
Bei den Vorleistungen aller Bahnen spielt die Rollmaterialindustrie eine zentrale Rolle. In den letzten Jahren ist über Rollmaterialbestellungen eine durchschnittliche jährliche Wertschöpfung in der Grössenordnung von knapp 450 Mio. CHF im engeren Sinn (direkter und indirekter Effekt) geschaffen worden. Trotz der Strukturbereinigungen in der Rollmaterialindustrie liegt der Inlandanteil bei knapp 50%.

Grosser Beitrag der Investitionen von Bahn 2000 1. Etappe
Mit Bahn 2000 1. Etappe (B21) sind Infrastrukturinvestitionen von insgesamt rund 6 Mia. CHF, Rollmaterialinvestitionen für den Fernverkehr zur Realisierung des letzten Angebotsschrittes von B21 von knapp 1.4 Mia. CHF und eine Ausweitung des Angebots durch den letzten Angebotsschritt von B21 um 12%1 verbunden. Mit dem Fahrplanwechsel Ende dieses Jahres wird der letzte und mit Inbetriebnahme der Neubaustrecke auch bedeutungsvollste Angebotschritt von B21 vollzogen. Der damit generierte volkswirtschaftliche Nutzen kann folgendermassen zusammengefasst werden:

* Während der Bauzeit von B21 (im Wesentlichen 1996–2006) ist über den direkten, indirekten und induzierten Effekt eine Wertschöpfung von insgesamt 16 Mia. CHF generiert worden. Damit sind ca. 151’000 Personenjahre (Jahresarbeitsstellen) verbunden. Zu einem grossen Teil (60%) fällt der Nutzen in den Kantonen mit B21-Baustellen an.
* Die Rollmaterialinvestitionen für den letzten Angebotsschritt von B21 haben eine Wertschöpfung über alle drei Effekte von insgesamt 1.8 Mia. CHF und Arbeit für 15’300 Vollzeitbeschäftigte generiert.
* Während der Betriebsphase erzeugen die zusätzlichen Zugsleistungen ebenfalls zusätzlichen volkswirtschaftlichen Nutzen. Die damit verbundene Wertschöpfung über alle drei Effekte beträgt jährlich rund 3.2 Mia. CHF.
* Dank Inbetriebnahme des letzen Angebotschritts von B21 erfahren die bisherigen Bahnkunden Zeitersparnisse von jährlich rund 250 Mio. CHF bzw. 1000 Personenjahren. Nach 24 Jahren übersteigen diese katalytischen Effekte für die Bahnkunden die gesamten Investitionskosten von B21.

Der öffentliche Verkehr im Vergleich zu den anderen Verkehrsmitteln
Der öffentliche Verkehr erzeugt in der Schweiz – dank seinen Angebots- und Produktionsstrukturen – einen deutlich grösseren volkswirtschaftlichen Beitrag pro Einheit Verkehrsleistung (d.h. pro Personen- oder Tonnenkilometer) als beispielsweise der Strassenverkehr. Dafür sind drei Gründe massgebend: Erstens ist die Importquote mit 14% im ÖV sehr tief. Im privaten Strassenverkehr muss quasi der gesamte Rohstoff (Fahrzeuge, Treibstoff) importiert werden. Zweitens ist die Beschäftigungsintensität im ÖV deutlich grösser. Sie beträgt 51%, im Vergleich zu 3% im privaten Strassenverkehr. Zwar erzeugen die professionellen Chauffeure mit ihren Einkommen ebenfalls erhebliche induzierte Effekte, aber im privaten Strassenpersonenverkehr überwiegen die Eigenlenker/-innen, die mit ihren privaten Eigenleistungen keine Lohneinkommen und damit keine zusätzliche Wertschöpfung für die Schweizerische Volkswirtschaft generieren. Und drittens schliesslich sind die negativen volkswirtschaftlichen Effekte (Folgekosten in Form von ungedeckten Unfall- und Umweltkosten) im öffentlichen Verkehr deutlich geringer als im Strassenverkehr.

Fazit: Der öffentlicher Verkehr ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor
Die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs (Bahn, Bus, Tram, Schiff, Spezialbahnen) in der Schweiz beschäftigen knapp 60’000 Personen und transportieren jährlich rund 1.7 Mia. Personen. Darüber hinaus tragen sie wesentlich zu Verbesserungen in der Standortattraktivität der einzelnen Schweizer Regionen, zum Abbau regionaler Kaufkraftdisparitäten und zur Verringerung der Umweltkosten dank Verlagerung von motorisiertem Individualverkehr zum öffentlichen Verkehr bei. Ein Teil dieser Leistungen wird durch die öffentliche Hand bestellt und abgegolten (Regionalverkehr, Güterverkehr). Diese Leistungsaufträge der öffentlichen Hand steigern die volkswirtschaftliche Bedeutung wesentlich, denn sie führen zu einer Wertschöpfung und Beschäftigung bei den Transportunternehmen, deren Zulieferern und der weiteren Wirtschaft.

Gleichzeitig hat die Bahn in den letzten 10 Jahren ihre Produktivität massiv erhöht und die Belegschaft reduziert. Die Zahl der beförderten Passagiere hat seit 1990 um ein Sechstel zugenommen. Die Bahnen beförderten 2001 mit 22% weniger Beschäftigten 16% mehr Personen als 1990. Dies demonstriert einen eindrücklichen Produktivitätszuwachs.

In Bezug auf die Verkehrsleistung (Personenkilometer und Tonnenkilometer) pro Vollzeitbeschäftigten stieg die Produktivität der Bahnen in der Schweiz um 55%, in Bezug auf die Anzahl beförderter Personen pro Vollzeitbeschäftigten um 49%. Diese Produktivitätsgewinne sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht überlebensnotwendig, um die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten und die Qualität zu steigern. Können die freigestellten Arbeitnehmer nicht anderswo beschäftigt werden, so kann ein zu starker Arbeitsplatzabbau aber auch volkswirtschaftlichen Nutzen vernichten. Deshalb ist die Bilanz für die Schweizer Volkswirtschaft gemessen am BIP nur dann positiv, wenn der geschaffene Mehrwert (Angebotserhöhung, hohe Angebotsqualität, attraktive und bezahlbare Tarife) höher ist als die Senkung der Lohneinkommen und der damit verbundenen Wertschöpfung. Bei den Bahnen ist die Bilanz der letzten Jahre positiv. Übermässige Sparanstrengungen könnten diese positive Bilanz in Zukunft gefährden.

Ganz allgemein zeigt diese volkswirtschaftliche Sichtweise, wie gross der Nutzen der Produktion und der Nutzungen der Leistungen im öffentlichen Verkehr wirklich ist. Und sie demonstriert auch eine alte ökonomische Weisheit: Nicht alles, was billig ist, ist auch gut. Der öffentliche Verkehr macht sich zwar in den öffentlichen Budgets bemerkbar, aber damit ist auch ein bedeutender volkswirtschaftlicher Nutzen verbunden.

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