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24.03.2005

Quelle:Frankfurter Rundschau

Lastwagen sollen Maut für die Fahrt in die City zahlen (Artikelsammlung)

Mehrheit des Stadtparlamentes will Einführung einer Umweltabgabe für Schwerverkehr prüfen / Antrag von Offenes Darmstadt

von Gert Blumenstock
Wegen zu hoher Luftbelastung mit gesundheitsschädlichen Feinstäuben prüft Darmstadt die Einführung einer City-Maut für Lastwagen. Das Stadtparlament beschloss am Dienstagabend einen entsprechenden Antrag der Fraktion Offenes Darmstadt. CDU und FDP stimmten dagegen.
Darmstadt · 23. März · "So weit wie in London wollen wir nicht gehen", sagte der Fraktionsvorsitzende von Offenes Darmstadt, Michael Siebert, in der Sitzung. In der britischen Hauptstadt werden die Fahrer von Autos und Lastwagen seit zwei Jahren zur Kasse gebeten, wenn sie in die Innenstadt fahren. Der Antrag von Offenes Darmstadt zielt nur auf Lastwagen, weil ihre Dieselmotoren gesundheitsgefährdende Rußpartikel ausstoßen.
"Den größten Teil der Schadstoffbelastung verursachen neben den Bussen die Lastwagen", sagte Fraktionsvorsitzender Michael Siebert. Rund 90 Prozent der Luftverschmutzung gehe auf große Dieselfahrzeuge zurück. In London sei der Verkehr wegen der Mautgebühren um fast ein Drittel gesunken. "Die Feinstäube sind aber nur um zehn Prozent zurückgegangen", erläuterte Siebert. Die Schmutzpartikel gelangen beim Einatmen in die Lungenbläschen und von dort ins Blut. Laut medizinischen Studien können sie Lungenkrebs auslösen.
Der Magistrat soll laut Antrag klären, wie Darmstadt eine City-Maut für Lastwagen einführen kann. Siebert hofft, mit Gebühren den Schwerlastverkehr aus der Stadt heraushalten zu können, von dem die größte Umweltgefährdung ausgehe. Darmstädter Firmen sollen von der Abgabe befreit werden, wenn sie ihre Fahrzeuge mit Rußfiltern nachrüsten.
Die Bundesregierung lässt den Städten bei der Einführung einer Maut freie Hand. "Wenn aus Umweltgründen Vorschläge für eine City-Maut kämen, dann würden wir das nicht blockieren", sagte Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD).
Vor allem in der Darmstädter Innenstadt ist die Luft erheblich mit Schadstoffen belastet. Am Ausgang des Citytunnels in der Hügelstraëe werden regelmäßig die schlechtesten Werte in ganz Hessen gemessen. Seit Anfang des Jahres gilt eine neue EU-Richtlinie für die zulässige Luftverschmutzung mit Feinstäuben wie etwa Rußpartikel von Dieselfahrzeugen. Danach darf der Grenzwert von 50 Mikrogramm Staub pro Kubikmeter Luft nur an höchstens 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Wie das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie am Mittwoch mitteilte, wurde der erlaubte Grenzwert an der Messstation in der Hügelstraëe in diesem Jahr bereits 22 mal überschritten.
Dem Antrag von Offenes Darmstadt stimmten SPD, Grüne und Uffbasse zu. "Den Vorschlag hat unsere Dezernentin Daniela Wagner bereits im letzten Jahr in die Diskussion gebracht", sagte Karl-Heinz Stephan-Roßbach (Grüne). Verkehrsdezernent Dieter Wenzel (SPD) betonte, dass es bei der Luftreinhaltung keine Denkverbote geben dürfe. "Es gibt viele Stellschrauben, an denen wir drehen müssen." Wenzel verwies auf den städtischen Luftreinhalteplan, der unter anderem die Umrüstung von Heag-Bussen mit Rußfiltern, die Förderung von Bussen und Bahnen oder die häufige Reinigung der Hügelstraëe vom Straëenstaub vorsehe. Eine Insellösung für Darmstadt sei wenig, aber sinnvoll, sagte Wenzel. Er halte eine "konzertierte Aktion mit der Region" für besser.
CDU und FDP stimmten gegen den Antrag. "Der Lastwagenverkehr durch Darmstadt ist relativ gering", sagte CDU-Fraktionschef Wolfgang Gehrke. Er warf der Stadtregierung vor, die Einnahmen für die Sanierung des Haushaltes verwenden zu wollen. "Die Maut belastet Unternehmen finanziell und gefährdet Arbeitsplätze", begründete Dierk Molter (FDP) die Ablehnung.




Kommentar


Nur Mut


Von Klaus Kühlewind
Die Mehrheit der Darmstädter Stadtverordneten steht vor einer wegweisenden Mutprobe: Allein die Tatsache, mit dem Gedanken für eine City-Maut zu spielen, wird an den Stammtischen und von der Kraftfahrerlobby als Beutelschneiderei verteufelt werden. Aus dem konservativen Lager sind bereits die üblichen Rufe laut geworden, derlei Abgaben trieben zuhauf Unternehmen in den Ruin.
Doch wer so tönt, denkt oft nicht über die eigene Kühlerhaube hinaus. Darmstadts Innenstadt ist über alle Maëen mit Abgasen und Rußpartikeln belastet - Tendenz weiter steigend. Die Belastung der Luft und damit die Gesundheitsbedrohung für alle Menschen in der Stadt hat eine bedenkliche Dimension angenommen.
Das Beispiel London zeigt, dass mit der Maut die Lebensqualität deutlich steigt: weniger Verkehr, weniger Stress, weniger Unfälle, bessere Luft. Die Wirtschaft ist dort über das übliche Lamentieren hinaus harte Fakten schuldig geblieben, ob sie tatsächlich Umsätze eingebüßt hat und Unternehmen gar in den Ruin getrieben wurden. Zudem hat London mit den Einnahmen sein Nahverkehrsangebot massiv verbessert.
So gesehen ist die in Darmstadt angedachte Lastwagen-Lösung nur halbherzig: Eine Maut für alle Autos wäre nachgerade konsequent. Dabei ließe sich über intelligente Systeme die Höhe der Gebühr steuern: Wer nur durchfährt, zahlt mehr, Anwohner haben Sondertarife ebenso wie Autos mit Partikelfiltern oder Solarmobile. Mit den Einnahmen finanziert die Wissenschaftsstadt das beste Nahverkehrssystem der Welt... Visionen gibt es viele, nur manchmal fehlt leider der Mut.




Umfrage der Woche


Soll der Schwerverkehr in Darmstadt zur Kasse gebeten werden?


Von Frank Schuster
"Wenn ich mittags aus meinem Büro in der Hügelstraße komme, muss ich erst einmal den Staub von meinem Fahrradsattel wischen", sagt Ursula Weßling, Vorsitzende des Hausfrauenbunds. In der Messstation an der Hügelstraße, am Ausgang des City-Tunnels, wurden in der Vergangenheit die höchsten Schadstoffwerte, Staub- und Rußpartikel hessenweit gemessen. "Die Fenster sind nach drei Wochen schwarz", sagt Weßling. "Als ich 1966 nach Darmstadt kam, war das eine ganz gemütliche Straße. Doch jetzt brummt der Verkehr nur so." In einer City-Maut für Lastwagen sieht sie dennoch nicht der Weisheit letzter Schluss. Sie fordert: "Feinststaubfilter wären das allerbeste."
Das sieht auch Brigitte Martin, Vorsitzende des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) so. "Eine City-Maut löst nicht grundsätzlich das Problem. Wirkungsvoller wären Rußfilter, die auch feinste Partikel filtern." Eine Maut lässt sie höchstens als eine Sofortmaßnahme gelten. Bei Einführung müsse aber darauf geachtet werden, dass Lkw-Fahrer keine Schlupflöcher fänden, indem sie die Stadt einfach umführen. Sie gibt zu bedenken: "Insgesamt kann die City-Maut sogar kontraproduktiv wirken. Bei isolierter Einführung wird der Standort Innenstadt tendenziell geschwächt. Ohne entsprechende Gegenmaßnahmen wird der Trend zu Einkaufszentren, Freizeiteinrichtungen und auch Gewerbeansiedlungen auf der grünen Wiese weiter verstärkt."
"Die Innenstadt zu sperren, ist der Tod der Innenstadt", bringt das Karl-Heinz Göttert, Geschäftsführer von Karstadt, auf eine Kurzformel. "Eine Anbindung an die Geschäftswelt muss sein." Das von ihm geleitete Warenhaus in der City fahren an Durchschnittstagen rund fünf Spediteure und zehn Lebensmittel-Lieferanten an. "Gegen eine Verbesserung der Luft gibt es nichts einzuwenden, aber es wäre besser, Durchgangs- und Zulieferungsverkehr voneinander zu trennen. Es gab eine Lösung bei der Autobahnmaut, also ist das auch bei diesem sicherlich schweren Unterfangen möglich."
Kai Brune, Geschäftsführer von Henschel & Ropertz, sieht die Probleme in der Verkehrsführung: "Die ist in Darmstadt wie in einem Dorf. Es gibt keine Umgehungen, Fahrer müssen wegen des Einbahnstraëenverkehrs immer gleich den City-Ring umrunden, wenn sie von einem zum anderen Punkt wollen." Fünf bis sechs Lastwagen belieferten täglich das Modehaus am Marktplatz.
Die geplante City-Maut geht Felix Weidner, Vorsitzender des Vereins für innovative Verkehrssysteme Darmstadt (IVDA), nicht weit genug: "Ein generelles Fahrverbot für alle Fahrzeuge - also auch Pkw - ohne Rußfilter wäre sinnvoller." Die Stadt habe bei ihren Bussen schon den ersten Schritt in diese Richtung gemacht. Die Heag hatte bis Ende vergangenen Jahres 29 ihrer 80 Omnibusse mit Rußfiltern nachgerüstet.
"Eine Maut ist viel zu einfach gedacht", sagt dagegen Peter Grüner, Geschäftsführer der Spedition Service-Team Grüner & Klein. "Die Leute haben gar keinen Begriff davon, wie sauber heute ein Lastwagen ist." Zwar sei keiner der sechs Lastwagen seiner Spedition mit einem Rußfilter ausgerüstet, aber an ihnen würden kontinuierlich Abgasuntersuchungen vorgenommen.




Blick nach London



Einnahmen fürs Busnetz


Darmstadt prüft, in London ist die City-Maut längst Realität. Dort werden allerdings nicht nur Brummis, sondern auch Personenwagen zur Kasse gebeten. FR-Korrespondent Peter Nonnenmacher zieht Bilanz.

Von P. Nonnenmacher (London)

Zwei Jahre nach der Einführung einer Maut-Gebühr in der britischen Innenstadt zieht London eine überwiegend positive Bilanz seiner "Pioniertat". Das Verkehrsaufkommen in der City ist erheblich gefallen, die Maut-Einnahmen haben einen großzügige Ausbau des Busnetzes erlaubt und viele Londoner, die früher ihr Auto für unverzichtbar hielten, sind auf den Nahverkehr umgestiegen.
Stolz ist auf dieses Ergebnis vor allem Londons Bürgermeister Ken Livingstone, der das größte städtische Maut-Gebiet Europas - übrigens ohne jede Befragung der Londoner Bevölkerung - gegen erhebliche Widerstände durchsetzte. Nicht so sehr die Sorge um die Luftverschmutzung in London brachte den Maut-Plan zustande, als vielmehr die Tatsache eines rapide wachsenden Verkehrsaufkommens, das London zunehmend unbeweglich machte.
Inzwischen ist, mit der Maut, der Autoverkehr in der Maut-Zone um rund 30 Prozent gesunken. 70 000 Autos weniger als früher fahren heute täglich nach London hinein. Auch die Zahl der Unfälle im betreffenden Gebiet hat sich wesentlich reduziert. Mit 70 Millionen Pfund jährlicher Einnahmen aus der Maut (rund 100 Millionen Euro) finanziert die Stadt ein besseres Nahverkehrsangebot, vor allem in Form zusätzlicher Busse. Im kommenden Jahr möchte Bürgermeister Livingstone die Zone auf Teile West-Londons ausweiten. Auch das Gebiet um den Flughafen Heathrow ist als potenzielle Maut-Zone im Gespräch.
Arrangiert mit der Mautgebühr von fünf Pfund (7,20 Euro) pro Werktag haben sich - zwangsläufig - die meisten Fahrer, die am eigenen Steuer festhalten: Sie finden es immerhin leichter als früher, schnell zur Arbeit zu kommen. Die geplante Erhöhung der Gebühr auf acht Pfund (11,50 Euro) stellt allerdings viele von ihnen vor Probleme. Regelmäßige Proteste kommen indes von Geschäften und Kaufhäusern in der Maut-Zone, die über einen, wenn auch schwer messbaren "Verlust an Kundschaft" klagen. Auch von den Anliegern der Maut-Zone sind gelegentlich Klagen zu hören: In ihren Straëen staut sich nicht selten der Autoverkehr, der die Maut-Zone zu vermeiden sucht.
Noch nicht überzeugt von den Vorzügen der Maut sind derweil andere britische Großstädte wie Manchester, Cardiff oder York, die eine Einführung von City-Gebühren erwogen haben, deren Planung aber nicht recht vorankommt. In Edinburgh stimmten vor wenigen Wochen bei einer Volksabstimmung drei Viertel der Bevölkerung gegen die Maut. Vorläufig zeichnen sich damit im Vereinigten Königreich keine Chancen für weitere kommunale Maut-Systeme ab.

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