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30.10.2007

IVDA Presseerklärung:

IVDA: „Konsenstrasse“ schadet Darmstadt

Verein übt scharfe Kritik an OB Hoffmann und der Bahn

„Die von der Bahn und dem Darmstädter Oberbürgermeister Walter Hoffmann vorgeschlagene Bypasslösung im Rahmen der Bahnneubaustrecke für den Hochgeschwindigkeitsverkehr zwischen Frankfurt und Mannheim ist eine verkehrlich und räumlich schädliche Mogelpackung zu Lasten der Einwohner Darmstadts und des Umlandes auf Kosten der bundesdeutschen Steuerzahler.“ so formuliert Stefan Opitz, Vorsitzender des Vereins für Innovative Verkehrssysteme Darmstadt e.V. (IVDA), die Kritik seines Vereins an der derzeit in Diskussion befindlichen sogenannten „Konsenstrasse“ für die Anbindung Darmstadts an den Bahnfernverkehr. Opitz: „Der Darmstädter Oberbürgermeister, bei dem nun in der Stadtverwaltung auch die Federführung für das Projekt liegt, hat mit seinen Zugeständnissen an die Bahn ohne Not die starke Stellung und die Einigkeit in der Region zerstört und hat bis heute offensichtlich nicht verstanden, welches faule Ei er sich von der Bahn hat unterschieben lassen.“

Der Verein hat die verschiedenen zur Diskussion stehenden Alternativen bei der Planung der Neubaustrecke unter den Gesichtspunkten der verkehrlichen, räumlichen und finanziellen Wirkung betrachtet. „Bei nüchterner Bewertung der ‚Konsenstrasse’ wird schnell deutlich, dass einem maximalen finanziellen Aufwand und massiven Eingriffen in Natur und Stadtbild letztendlich kein verkehrlicher Nutzen gegenübersteht. Um die für Darmstadt und die Region dringend erforderliche Anbindung an den Bahnfernverkehr herzustellen, gibt es nur zwei sinnvolle Möglichkeiten: Die Vollanbindung der Neubaustrecke oder die drastische Verbesserung der Nahverkehrsanbindung insbesondere nach Mannheim sowie Mainz, Wiesbaden und Aschaffenburg.“ so Opitz. Der IVDA fordert daher eine schnell und drastische Kurskorrektur. Opitz weiter: „Die ‚Konsenstrasse’ muss schnellstmöglich beerdigt werden, um weiteren Schaden zu abzuwenden.“

Stattdessen fordert der IVDA eine Funktionalisierung der Diskussion um die Bahnfernverkehrsanbindung Darmstadts. Opitz: „Darmstadt und die Region braucht einen schnellen und qualitativ hochwertigen Zugang zum Bahnfernverkehr. Was dabei aber häufig vergessen wird, ist die Tatsache, dass Darmstadt in Bahnmaßstäben nur je einen Steinwurf von zwei der größten Bahnknotenpunkte Deutschlands und Europas entfernt liegt: Die Bahnhöfe Frankfurt und Mannheim. Von dort kann man fast jedes Ziel in Deutschland und viele Ziele in Europa in kurzen Taktabständen direkt erreichen. Schon heute ist es so, dass selbst die in Darmstadt haltenden Fernverkehrszüge im Wesentlichen eine Zubringerfunktion zu diesen beiden großen Knotenbahnhöfen erfüllen.“ Der IVDA ist überzeugt, dass sich daran auch durch einen HGV-Bahnhof in Darmstadt nichts ändern würde. „Unabhängig ob über einen Bypass, als Vollanbindung oder als Satellitenbahnhof würde nur ein geringer Teil der Züge und dann auch immer von den gleichen Linien in Darmstadt halten. Folglich hätten die Züge für den überwiegenden Teil der Destinationen nach wie vor eine Zubringerfunktion für den Umstieg in Frankfurt und Mannheim.“ ist sich Opitz sicher.

Die Position der Bahn, ihre Priorität auf eine schnelle Durch- oder Vorbeifahrt an Darmstadt zu legen, hat der Verein daher Verständnis. „Darmstadt ist für den europäischen Bahn-Hochgeschwindigkeitsverkehr so interessant wie der berühmte Sack Reis in China. Und das ist auch richtig so, weil die Bahn sonst wichtigen Boden im Vergleich zu ihren schärfsten Konkurrenten Auto und Flugzeug verliert.“ so Opitz. Zubringerfunktionen seien Sache des Nahverkehrs, auf dessen Rolle der IVDA in diesem Zusammenhang mit Nachdruck verweist. „Mit der Regionalbahn erreicht man den Frankfurter Hauptbahnhof fast durchgehend alle halbe Stunde in nur 18 Minuten. Das ist zu allen anderen Verkehrsmitteln konkurrenzlos - selbst ein ICE über die Neubaustrecke würde das kaum schaffen, da die wesentlichen Zeiten auf den Zulaufstrecken zum Frankfurter Hauptbahnhof verloren gehen. Und für die Verbindung vom Darmstädter Hauptbahnhof zum Flughafenbahnhof stellt der Airliner mit einer Fahrzeit von nur 25 Minuten bei einem fast durchgehenden Halbstundentakt schon heute eine brauchbare Grundlage dar.“

Katastrophal sei hingegen die Anbindung nach Mannheim sowie nach Mainz/Wiesbaden und Aschaffenburg. „Eine Fahrzeit von über einer Stunde für gut 50km von Darmstadt nach Mannheim bzw. Heidelberg ist eine Frechheit. Die nur vier Regionalexpresszüge je Tag und Richtung sind mit rund 50 Minuten noch immer viel zu langsam (Anm.: Der IC braucht auf der Strecke nur gut 30 Minuten), fahren viel zu selten und zudem ohne Anschluss an den Taktknoten im Darmstädter Hauptbahnhof, um hier einen Unterschied zu machen. Die Strecke zwischen Aschaffenburg und Mainz/Wiesbaden ist geprägt von Langsamfahrstellen, Zugausfällen, desolaten Bahnhöfen und Verspätungen. Schnelle Züge, die die wichtigen Mittel- und Oberzentren entlang der Strecke in einer konkurrenzfähigen Fahrzeit miteinander verbinden, gibt es überhaupt nicht. Davon sind täglich tausende Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer betroffen und nicht einige hundert Ein- und Aussteiger wie bei einem Fernverkehrshalt im Darmstädter Hauptbahnhof. Hierfür scheint sich der Darmstädter Oberbürgermeister aber nicht zu interessieren.“ kritisiert Opitz.

Als wesentliche Parameter für die Bewertung der Handlungsalternativen im Zusammenhang mit der Neubaustrecke definiert der IVDA daher aus verkehrlicher Sicht die Sicherstellung und Verbesserung der Anbindung Darmstadts an die Knoten Frankfurt und Mannheim sowie die Maximierung der Leistungsfähigkeit der Schieneninfrastruktur, aus räumlicher Sicht die Minimierung der Umweltfolgen für Mensch, Natur und Stadt-/Landschaftsbild bei größtmöglichem Nutzen der eingesetzten Finanzmittel. Opitz: „Gemessen an diesen Kriterien erweist sich die sogenannte Konsenstrasse in jeder denkbaren Hinsicht als untauglich. Durch die geringe Leistungsfähigkeit und die langwierige Ein- und Ausfädelung vom/zum Darmstädter Hauptbahnhof auf die/von der Neubaustrecke wäre die Fahrzeit der Züge von Darmstadt nach Frankfurt mit Sicherheit deutlich länger als heute mit der Regionalbahn. Einziger Vorteil wäre eine schnellere Anbindung nach Süden, die aufgrund der geringen Taktfolge und den damit im Durchschnitt langen Wartezeiten am Knoten in Mannheim aber ebenfalls im Wesentlichen uninteressant ist. Hinzu kommt, dass die Befahrung des Bypasses für jeden wirtschaftlich agierenden Fernverkehrsanbieter aufgrund der großen Zeitverzögerung völlig uninteressant wäre und damit nicht nur von der DB-Personenverkehr sondern auch von allen anderen in Zukunft mit Sicherheit auf der Strecke zu erwartenden privaten Anbieter ignoriert werden würde. Eine vertragliche Zusicherung über eine Anzahl Züge je Tag, wie sie der OB wünscht, kann und wird es in der Form mit der Bahn oder einem anderen Anbieter mit Sicherheit nicht geben.“

Auch bei den Kriterien Raumwirkung und Finanzen sieht der IVDA die Konsenstrasse im Abseits: „Hier soll mit zig Millionen Euro eine verkehrlich völlig sinnlose Infrastruktur zementiert werden. Bahnchef Mehdorn macht hier Millionengeschenke auf Kosten der bundesdeutschen Steuerzahler, die den Bypass finanzieren sollen. Hinzu kommt, dass durch die ‚Teilung’ der Trasse sich auch die negativen Raumwirkungen annähernd verdoppeln. Dies betrifft auch das Thema Lärm, denn eine Lärmminderung ist für Darmstadt durch die Neubaustrecke nicht zu erwarten. Die Strecke kann und wird nur für sehr kurze Zeit in der Nacht überhaupt für schnelle Güterzüge zur Verfügung stehen. Die langsamen, lauten Kohlezüge aus Polen und von anderswo werden wie eh und je durch die Stadt rollen; freiwerdende Trassenplätze unmittelbar mit neuen Zügen gefüllt.“

Auch die Einrichtung eines Satelitenbahnhofs an der Siedlung Tann lehnt der IVDA unter diesen Gesichtspunkten strikt ab. Opitz: „Der Darmstädter Hauptbahnhof ist für Darmstadt und das Umland der zentrale Verknüpfungspunkt des lokalen und regionalen Nahverkehrs und würde dies auch bei Einrichtung eines Satelitenbahnhofs bleiben. Damit wäre der weit überwiegende Teil der Fahrgäste auf einen umständlichen Transfer zwischen den beiden Bahnhöfen angewiesen, der nicht nur von der Stadt Darmstadt zu finanzieren wäre, sondern inklusive Zugangszeiten, Wartezeiten, Transferzeiten und Abgangszeiten auch in etwa so lang dauern würde, wie die Fahrt mit der Regionalbahn nach Frankfurt. Damit wäre ist ein Satellitenbahnhof, an dem pro Stunde zwei Züge je Richtung halten, ebenfalls uninteressant für die Region.“

Für den IVDA verbleiben daher nur zwei Varianten, die tatsächlich einen Mehrwert für Darmstadt erzeugen. „Fachlich sinnvoll ist nur die Vollanbindung des Darmstädter Hauptbahnhofs oder die Vorbeifahrt ohne Halt in Darmstadt allerdings unter der Bedingung, dass die Nahverkehrsanbindung insbesondere nach Mannheim drastisch verbessert wird.“ so der IVDA-Vorsitzende. Nur unter der Maßgabe der Vollanbindung des Darmstädter Hauptbahnhofs, die zudem nur geringfügig teurer als die Vorbeifahrt sei, könnten die damit unweigerlich verbundenen, negativen Effekte für die Stadt akzeptiert werden. Opitz: „Ausschließlich mit der Vollanbindung des Darmstädter Hauptbahnhofs, die allen Fernverkehrsbetreibern ohne Einschränkungen die Durchfahrt oder den Halt ermöglicht, ist eine verkehrlich tatsächlich positive Wirkung durch einen Fernverkehrshalt in Darmstadt zu erreichen. Die einzige Alternative hierzu ist die drastische Verbesserung der Erreichbarkeit insbesondere von Mannheim, aber auch von Aschaffenburg, Mainz und Wiesbaden als indirekter Anschluss an das Fernverkehrsnetz.“

Hier sieht der IVDA nicht nur den Darmstädter OB in der Pflicht, die Konsenstrasse zu beerdigen und zu einer tatsächlichen regionalen Einigkeit auf Augenhöhe aller Beteiligten zurückzukehren, sondern auch den Bund. „Die Ertüchtigung des Nahverkehrs scheitert als Alternative zum Bau des Bypasses für die Bahn als Bauherrin an den unterschiedlichen Finanzierungsmethoden des Bundes. Während der Bund einen Neubau vollständig finanziert, muss die Bahn bei einem Um- und Ausbau einen Teil der Kosten selber tragen.“ erläutert die IVDA-Vorsitzende. „Dies ist Geld, das die Bahn teilweise schlicht nicht hat bzw. das Herr Mehdorn lieber als Gewinn ausweist, um die Börsenfähigkeit seines Unternehmens vorzugaukeln. Der Bund als Geldgeber ist hier gefordert, dieses System vom Fehlanreizen abzustellen.“ so Opitz abschließend.

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