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26.04.2007

Quelle:Darmstädter Echo

50 Millionen für einen Tunnelkilometer

Gründung eines gemeinsamen Projektbeirats, der Abstimmungsaufgaben bei der Planung klären soll

Wie viel darf die Ruhe kosten? Diese Frage wird von entscheidender Bedeutung sein, wenn es nach der Grundsatzeinigung über die Anbindung des Darmstädter Hauptbahnhofs ans deutsche ICE-Netz um die Umsetzung im Detail geht.

Im Westen Darmstadts ist die Sorge groß, Tag und Nacht ohrenbetäubendem Lärm von vorbeirasenden Hochgeschwindigkeitszügen ausgesetzt zu sein. Ende Januar hatten sich Vertreter der Bahn, der Stadt, des Landes und der Technologieregion Darmstadt Rhein-Main-Neckar (früher Starkenburg) auf eine Schnellbahn-Haupttrasse entlang der Autobahn A 67/A 5 sowie einen Bypass zum Hauptbahnhof geeinigt – die sogenannte Konsenstrasse.

Die nächsten Schritte zur Umsetzung waren Thema eines „Planungsworkshops ICE“, zu dem sich Unterhändler von Bahn, Land, Stadt und Umland im Darmstädter Rathaus trafen.

Die Teilnehmer vereinbarten am Mittwoch die Gründung eines gemeinsamen Projektbeirats, der Abstimmungsaufgaben bei der Planung klären soll. Außerdem soll es ein Forum zur fachlichen Begleitung geben.

Zufrieden mit dem Ergebnis zeigte sich Darmstadts Oberbürgermeister Walter Hoffmann: „Die Region zieht endlich wieder an einem Strang, und es ist gelungen, erste konkrete Schritte einer Zusammenarbeit zum Thema ICE einzuleiten. Ich bin sehr optimistisch, dass es uns gelingt, auf diesem Konsens aufzubauen.“ Bahn-Vertreter Klaus Vornhusen sprach sich für eine zügige Verwirklichung der Neubaustrecke aus.

Bereits ein flüchtiger Blick auf die Karte zeigt, dass die Umsetzung der Konsenstrassen-Pläne nicht ohne Tunnel möglich ist. So verläuft die Linie der geplanten ICE-Haupttrasse quer über das Gewerbegebiet Weiterstadt-Riedbahn und überschneidet auch das dort im Bau befindliche neue Einkaufszentrum. Im Bereich des Darmstädter Kreuzes werden der Autobahnzubringer A 672 sowie die A 5 gekreuzt.

Insbesondere für die Bewohner der Siedlung Tann ist die Frage von hoher Bedeutung, ob die ICE-Strecke zwischen Riedbahn und Darmstädter Kreuz noch einmal ans Tageslicht geführt wird.

Auch das bestehende Darmstädter Gewerbegebiet Hilpertstraße/Riedstraße (Firmen Wiest, Döhler) sowie die geplante Neubebauung auf dem bisherigen Kelley-Kasernenareal, das die US-Armee nächstes Jahr räumen will, muss für den ICE wohl untertunnelt werden.

Hier erwarten die Bewohner der Heimstättensiedlung mit Spannung, wo die Züge wieder an die Oberfläche kommen: Unmittelbar am Südzipfel des Kasernengeländes oder erst jenseits der Autobahn A 5?

Die Lärmwirkung der ICE-Züge mag nicht so groß sein wie von manchen Bürgern befürchtet – eine ECHO-Recherche in dem seit Jahren betroffenen Westerwaldstädtchen Montabaur hatte ergeben, dass die meisten Bewohner die Belastung als akzeptabel empfinden.

Auch der unmittelbare Eindruck von hinter Schutzwänden vorbeifahrenden ICEs war eher ein kurzes Windrauschen als das anhaltende Gerumpel, das lange Güterzüge verbreiten – die allerdings auch auf der neuen Strecke fahren werden.

Zudem fahren ICE-Züge üblicherweise nicht nachts. Im Bereich Heimstätte würden ohnehin nur Züge mit deutlich verlangsamtem Tempo verkehren, die am Hauptbahnhof halten. Gleichwohl ist klar, dass eine mit Lärmschutzwänden versehene ICE-Trasse keine Augenweide ist und eine erhebliche Trennwirkung zum Westwald hätte.

Tunnelbauten könnten diese Probleme lösen. Die Frage ist nur: Was würde das kosten? Und wer würde es bezahlen?

„Früher hieß die Philosophie der Bahn: Kostenargumente sind für die Planfeststellung ohne Belang“, erinnert sich mit leichter Wehmut Rolf Katzenbach, TU-Professor und erfahrener Tunnelbauer. „Das hat sich geändert. Wegen des geplanten Börsengangs achtet Bahnchef Hartmut Mehdorn heute darauf, dass die investiven Ausgaben klein sind.“

Tunnelbauten wären nach Katzenbachs Angaben technisch kein Problem. Im Westen Darmstadts habe man es mit sandigem Untergrund zu tun, erläutert er. Das Grundwasser sei mindestens acht bis zehn Meter tief. „Der Tunnel-Begriff ist sehr relativ, hier wäre es eher ein Keller“: Geschaffen in offener Bauweise, wie auch der unterirdische Ionenbeschleuniger der Forschungsgesellschaft GSI in Wixhausen.

Der TU-Professor kalkuliert unter diesen Bedingungen mit Baukosten von etwa 50 000 Euro pro Tunnelmeter – also 50 Millionen für den Kilometer. Die rund 1200 Meter lange Strecke von der Kelley-Kaserne bis zur Südwestseite der A 5 würde demnach mit 60 Millionen Euro zu Buche schlagen.

Katzenbach schlägt vor, neue Tunnel geothermisch zu nutzen: Über Wärmetauscher an Bohrpfahlwänden könne der Untergrund „als Batterie für Kälte- und Wärmeaufladung“ genutzt werden – ein Verfahren, das unter anderem in einem Wiener Bahntunnel erprobt werde und für die Wissenschaftsstadt Darmstadt ein Aushängeschild sein könne.

Für die Konsenstrasse werde es in jedem Fall eine Mischfinanzierung auch mit Bundesmitteln geben, erklärt Katzenbach, der beim Bau der ICE-Trasse Frankfurt-Köln als Obergutachter und Problemlöser fungierte. Hier liege eine Stärke des Bahnchefs: „Mehdorn kennt sich in Berlin aus. Er weiß, an welchen Topf man geht.“ Der TU-Experte sieht für die Darmstadt-Planung „Ermessens- und Verhandlungsspielraum ohne Ende.“

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