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25.11.2009

Quelle:Frankfurter Rundschau

Straßen sind für alle da

IVDA-Vorstandsmitglied Felix Weidner im Interview mit der Frankfurter Rundschau

Herr Weidner, Umgehungsstraßen sind doch eine feine Sache: Man baut eine Straße um einen Ort herum - und das Zentrum ist entlastet. Nach dem Bau des Lohbergtunnels in Nieder-Ramstadt bei Darmstadt zum Beispiel quälen sich laut Statistik statt 13000 Fahrzeuge täglich nur noch 6500 durch die Stadt.

In Nieder-Ramstadt mag das vielleicht eine sinnvolle Maßnahme gewesen sein. Aber Umgehungsstraßen bergen, wie der Bau einer jeden neuen Straße, die Gefahr des induzierten Verkehrs, das heißt: Sie ziehen neuen Verkehr an. Wenn ein Autofahrer irgendwo zehn Minuten weniger Zeit für eine Strecke braucht, wird sie für ihn attraktiv, er nutzt sie wieder häufiger. Die sogenannte Nordostumgehung, die in Darmstadt als Entlastungsstraße geplant ist, könnte zum Beispiel dafür sorgen, dass Menschen im benachbarten Roßdorf, die vielleicht vorher nur zweimal im Monat zum Möbelhaus nach Weiterstadt gefahren sind, dies künftig dreimal tun. Statt einer Umgehung schafft man sich so eine schnelle Abkürzung.

"Wer Straßen baut, wird Verkehr ernten", hieß in Darmstadt ein Slogan der Gegner. Was spricht nach Ihrer Meinung sonst noch gegen Umgehungsstraßen?

Fehlende Prüfung von Alternativen, horrende Kosten und starke Eingriffe in die Natur. Um Fördergeld für eine Umgehung zu bekommen, ist es bis heute nicht nötig nachzuweisen, dass es keine bessere Möglichkeit gibt. Dabei sind die häufig vorhanden und finden schlicht keine Beachtung. Da liegt der Fehler auch im System: Umgehungsstraßen werden fast ausschließlich vom Land und vom Bund bezahlt. Alternative Maßnahmen dagegen nicht. Als Kommune ist es daher erstens sehr einfach und zweitens auch noch konsequent, so viele Mittel wie möglich bei sich zu binden. Da bleibt der Sinn der Maßnahme schon mal auf der Strecke.

Was sind denn dann die Alternativen?

Da gibt es unheimlich viel: Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, des Radverkehrs und Tempo 30 - um nur einige zu nennen. Wichtig in dem Zusammenhang: Eine Maßnahme allein bringt keinen Erfolg. Ebenso wenig, wie Umgehungsstraßen allein wirklich etwas bewirken. Scheuklappen und isoliertes Denken bringen uns nicht weiter. Und wir brauchen endlich ein Umdenken in der Gesetzgebung, um Verkehr an den Stellen, wo er auftritt, verträglicher zu gestalten.

.... Tempo 30? Wenn die Straßen doch eh schon verstopft sind?

Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen können Sie heute nur in streng reglementierten Ausnahmen anordnen, dabei verringert es Lärm und Abgasimmissionen, senkt die Trennwirkung und die Unfallgefahr. Fachleute und auch der Städtetag fordern seit Jahren bessere gesetzliche Regelungen - und das Bundesministerium sitzt die Sache mal wieder aus. Straßen sind Lebensraum, Treffpunkt, Wohn- und Handelsort, Aufenthaltsfläche und eben auch Verkehrsfläche.

Sind Straßen nicht in erster Linie für den Autoverkehr da?

Vor Beginn der Motorisierung waren Straßen Spielstätten von Kindern. All dies kann man zum Beispiel daran erkennen, dass in vielen Altstädten noch nicht einmal Bürgersteige existieren. Das ist etwas, wofür wir uns in der modernen Verkehrswissenschaft wieder zunehmend interessieren. Wir nennen es heute "shared space", eine gemeinschaftlich genutzte Fläche. Stellen Sie sich dagegen heute mal an eine Hauptverkehrsstraße und überlegen Sie, welche Funktion dort die alles dominierende Rolle spielt! Würden Sie Ihre Kinder dort spielen lassen?

Warum werden uns Umgehungsstraßen dann doch immer wieder als Allheilmittel angepriesen?

Sie sind eine einfache und auch in der Öffentlichkeit und bei der Wirtschaft beliebte Maßnahme, mit der man sich profilieren kann - auf Kosten anderer und meist mit zumindest zweifelhaftem Erfolg. Sie werden meist nicht fachlich, sondern politisch vorangetrieben. Um ehrlich zu sein, sind mir kaum Fälle bekannt, in denen das zuständige Straßenverkehrsamt wirklich die treibende Kraft hinter dem Bau einer Umgehungsstraße war. Basis dafür ist der Bundesverkehrswegeplan. Er gleicht einer riesengroßen Wunschliste: Wo Kommunalpolitiker am lautesten und effektivsten nach Fördergeld schreien, bekommen sie den Zuschlag. Das war in Zeiten des Wirtschaftsaufschwungs eventuell noch irgendwie hinzunehmen. Aber bei unserer heutigen Staatsverschuldung und ganz anderen Problemen im Umwelt- und Sozialbereich müssten wir besser darauf achten, was wir uns noch leisten können.

Interview: Frank Schuster


Zur Person
Felix Weidner ist Mitbegründer und Vorsitzender des Vereins Innovative Verkehrssysteme Darmstadt (IVDA). Der Verein unterstützt Wissenschaft und Forschung und hat das satzungsgemäße Ziel, "die Belastung von Mensch und Umwelt durch die heute noch hauptsächlich individuale, motorisierte Mobilität zu minimieren". Weitere Informationen über den Verein im Internet unter www.ivda.de.

Der 27-Jährige studiert Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Darmstadt. Davor studierte er Verkehrswissenschaften in Dresden.

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