Darmstädter Verkehrsriese bereitet sich mit neuer Struktur auf Konkurrenz an der Haustür vor
„Fesseln der Hessischen Gemeindeordnung“, „Verslummung von Stadtteilen“, „brutale Privatisierung“ – das Vokabular der Heag-Spitzen Horst Blechschmidt und Harald Fiedler ist dazu angetan, den Untergang des Abendlandes zu vermuten. Dabei geht es eigentlich nur um eine Neustrukturierung des Darmstädter Verkehrsriesen angesichts sich verschärfender Wettbewerbsbedingungen. Denn über die Europäische Union in Brüssel ist eine Verordnung nach Deutschland und somit auch nach Darmstadt gelangt, die eine grundsätzlich europaweite Ausschreibung bei der Vergabe von Lizenzen im öffentlichen Busbetrieb verlangt.
Damit könnten Blechschmidt und Fiedler ja noch leben. Doch gleichzeitig droht eine Teil-Novellierung der Hessischen Gemeindeordnung (HGO), wonach sich in Hessen – und nur in Hessen – kommunale Tochterunternehmen nicht außerhalb ihres Bereichs engagieren dürfen. „Wir wollen und werden dies nicht akzeptieren“, wettert Blechschmidt gegen diese aus Sicht der Heag drohende Wettbewerbsverzerrung und „brutale Privatisierung“. Ganz klar: Da kündigen sich juristische Schritte gegen die Landesregierung an. Denn Fiedler sieht darin die „Fesseln der HGO“.
Dabei hat es allein schon die am Freitag vorgestellte Neustrukturierung der Heag-Verkehrssparte in sich. Sie bringt optische Veränderungen, an die sich auch der Bürger gewöhnen muss. Schon zum 1. Januar werden die bislang zwei Verkehrsunternehmen in der Heag-Holding – die Verkehrs-GmbH und das 1999 aufgekaufte Omnibusunternehmen Glück und Seitz mit einem Pool von rund 200 Fahrern – aufgelöst.
Künftig wird es dafür gleich vier neue Heag-Gesellschaften mit neuen Logos geben: Unter dem Kopf der Heag-Holding sitzt zunächst die neue Dachspartengesellschaft „Heag mobilo“ (Infrastruktur) unter Leitung der Holding-Vorstände Blechschmidt und Fiedler.
Darunter firmieren drei weitere, ebenfalls neue Sparten: „Heag mobibus“ (Busbetrieb) mit sofortiger Wirkung, „Heag mobiserv“ (Werkstattbereich) und „Heag mobitram“ (Straßenbahnbetrieb) im kommenden Jahr.
Schon in wenigen Wochen soll bei „mobibus“ das neue Logo in den Hausfarben blau und orange an den Bussen prangen. Zum Jahreswechsel erreicht die Neuerung auch Werkstattbereich und Straßenbahnbetrieb.
Für den Fahrgast, versichern die beiden Vorstände, soll es trotz des strukturellen Wandels „keine qualitativen Veränderungen“ geben. Will heißen: Fahrplan und Preise bleiben unverändert. Zunächst.
Harter Preiskampf, günstigere Lohnstrukturen – das sind die Maxime der Heag-Unternehmenspolitik. Die ersten, bislang in Heag-Hand befindlichen und auf acht Jahre vergebenen Konzessionen für den Betrieb von Busliniennetzen in Darmstadt und Umgebung laufen im kommenden Jahr aus. Europaweite Neuausschreibungen nehmen dann Stadt und Dadina gemeinsam vor und entscheiden nach kostengünstigsten Angeboten über die Vergabe. Danach erteilt das Regierungspräsidium in Darmstadt die Konzessionen für die alten oder neuen Betreiber.
Gegen potenzielle Mitbewerber zum Beispiel aus Hamburg oder Mannheim will sich die Heag behaupten und wandelt das bisherige Tochter-Busunternehmen Glück und Seitz in „mobibus“ um. Damit verspricht sich der Verkehrsriese die günstigeren Löhne des privaten Omnibusgewerbes anstatt höherer Gehälter aus alten Heag-Verträgen. „Nur dadurch haben wir am Markt eine Chance“, glaubt Fiedler. Verhandlungen mit der Gewerkschaft Verdi stehen allerdings noch aus. Also reine Kostendrückerei? Dem widerspricht Blechschmidt vehement: „Es geht uns um die Sicherung der Arbeitsplätze.“
„England ist für uns ein negatives Beispiel“, zeichnet Blechschmidt ein düsteres Bild. Dort sei die freie Vergabe der Lizenzen bereits Realität. Mit der Folge, „dass jeder fährt, wo er will und wie er will“. Unrentable Strecken mit wenigen Fahrgästen würden einfach nicht mehr bedient, Kinder in entlegenen Bereichen könnten nicht mehr mit dem Bus zur Schule. Blechschmidt: „Das ist die Verslummung von Stadtteilen.“
Soweit muss es in Darmstadt ja nicht gleich kommen. Doch Glück&Seitz-Chef Matthias Kalbfuss warnt: „Wir können nicht davon ausgehen, dass wir alle Ausschreibungen gewinnen.“