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11.08.2007

Quelle:Frankfurter Rundschau

Abschied von der grünen Wiese

Studie sieht City-Läden mit Spezialangeboten und Internet-Einkauf mit Lieferservice vorne

Von Stephan Börnecke

Sind Super- und Verbrauchermärkte langfristig Auslaufmodelle? Zu wenig Service, eine erschlagende Warenfülle, die sich bei näherer Betrachtung als vorgetäuschte Vielfalt herausstellt, dazu weite Wege zu den Märkten auf der grünen Wiese und in den hallenartigen Gebäuden mit penetranter musikalischer Dauerberieselung. Eine Studie von A.T. Kearney, einem der größten Managementberater, offenbart: Diesen Märkten laufen die Kunden weg. Mirko Warschun, Autor der Studie, ist überzeugt: „Die großen Märkte oberhalb von 5000 Quadratmeter Verkaufsfläche werden zu kämpfen haben.“ Kearney prophezeit jährliche Umsatzeinbußen von 18 Milliarden Euro.
Unterstützt wird die Krise der Verbrauchermärkte durch den gesellschaftlichen Wandel. Der Fahrt mit dem Kombi zum wöchentlichen Einkauf setzen hohe Spritpreise Grenzen. Zugleich gebe es einen Trend zur Rückkehr in die Städte. Damit drohe dieser außerhalb der Citys etablierten Geschäftsform die Abwanderung von acht Millionen Käufern. Profitieren werden andere, spezialisierte, in den Innenstädten platzierte Geschäfte und technologisch unterstützte Handelsweisen.

Der Lebensmitteleinzelhandel steht vor einem Umbruch: Der Siegeszug der Discounter, die einen Anteil von fast 40 Prozent am Kuchen haben, ist gebremst, große Zuwächse seien dort nicht mehr zu erwarten. Klassische Supermärkte wiederum sehen sich in die Zange genommen: Auf der einen Seite bedrängt von den Discountern, auf der anderen Seite aber eine wachsende Zahl von Bio-Supermärkten mit ihrem qualitativ hochwertigen, zunehmend preiswerteren Angebot. Die klassischen Supermärkte stünden vor einer „massiven Herausforderung“.
Eine Umfrage unter 64 Managern von Lebensmittelherstellern und Handelshäusern schälte vier Felder heraus, die in der Branche an Bedeutung gewinnen werden: Qualität, Service sowie bequemes und rasches Einkaufen. Es sei unsinnig, dem Kunden 30 Sorten Toilettenpapier oder 20 Sorten Ketchup zu offerieren – jeweils zwei reichten bei diesen Basisartikeln aus. Diese Vorsortierung, die Tempo ins Einkaufen bringt, schaffe Spielräume in Segmenten, die für immer mehr Kunden wichtig würden: Bei Spezialitäten, ob Schinken, Käse oder Wein, könnte der Handel Pluspunkte sammeln. Zugleich gebe es einen wachsenden Bedarf an Convenience-Produkten: Vorgefertigte Salate oder das Sushi aus der Box würden gerade in Innenstädten stärker nachgefragt. Warschun schätzt, dass in diesem Segment auch neu auf den Markt tretende Einzelunternehmer reüssieren könnten. Nicht um die Wiederkehr des Tante-Emma-Ladens gehe es, aber um City-Shops, die mit einem überschaubaren Angebot den kurzfristigen, auch gehobenen Bedarf decken und Waren anbieten, „die ich beim Einkauf im Supermarkt vermisst habe“. Nur schnell und bequem müsse es sein. Allein diesem neuen Typus sagt Warschun aus anderen Verkaufsformen abgewanderte 3,5 Millionen Kunden voraus.

Vorbild Großbritannien


Dass die Supermarktketten dabei nicht die Verlierer sein müssten, zeige der Blick nach Großbritannien: Mit seinem Ableger Tesco-Express habe der Marktführer ein Netz aus kleineren Läden gestartet, die mit ihrem hohen Convenience-Anteil Tesco traumhafte Wachstumsraten bescherte.

Weitere Gewinner dürften Online-Shops sein, wie sie sich allmählich auch in Deutschland etablieren: Aus der Büropause heraus kann man am Bildschirm die Utensilien für das Abendbrot ordern und sie entweder nach Hause oder zu einem Lieferpunkt (Tankstelle, Getränkemarkt) bringen lassen. Das kostet ein paar Euro Aufschlag, entweder als Liefergebühr oder versteckt im Preis, sei für viele Kunden aber dennoch attraktiv. Dass Internet-Shops bisher nur wenig Erfolg hatten, habe viele Gründe: Sie seien unter anderem nicht engagiert genug betrieben worden, zum anderen sei schlicht die Zeit dafür noch nicht reif gewesen. Das habe sich aber geändert.





Kommentar: Genuss


Von Stephan Börnecke


Der Lebensmittelmarkt befindet sich im Umbruch. Die Discounter haben ihr Lagerhaus-Image abgestreift, das Sortiment um Frisches erweitert. Klassische Supermärkte haben nicht nur Öko entdeckt, sondern versuchen sich mit regionalen Produkten – etwa Fleisch – zu schmücken. Sie reagieren auf den Kunden und setzen auf eine lokale Identität. Verbrauchermärkte bekommen derweil Probleme, ihre Warenfülle entlarvt sich als völlig unnütz.
Während nicht nur der Massenmarkt, sondern auch das Biosegment eine fortschreitende Anonymisierung der Herkunft von Lebensmitteln erlebt, keimt zugleich eine Diversifizierung, die sich von der – auch von den Händlern gepflegten – Geizmentalität wohltuend abhebt. Er hat wieder eine Chance, der Spezialitätenhandel – und nicht nur in den teuren Luxus-Passagen der Großstädte.

Diese positive Entwicklung, die eine Rückkehr zur Wertschätzung von Lebens-Mitteln aufzeigt, hat Schattenseiten. Nicht jeder glaubt, sich qualitativ hochwertige (Bio-)Kost leisten zu können. Aber muss man deshalb auch gleich den Genuss hintanstellen? Mit der Discounterisierung des Landes ging einher ein Verlust an Kochwissen. Darüber kann die Flut entsprechender Sendungen und Rezepte der Magazine nicht hinwegtäuschen. Dass sich auch mit vergleichsweise einfachen Zutaten „teuer“ kochen lässt, muss man wieder lernen. Dann können Büchsen und degenerierte Tiefkühlpizza getrost im Verbrauchermarkt auf der Wiese bleiben.

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