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16.07.2005

Quelle:Darmstädter Echo

Wenzel kündigt zivilen Ungehorsam an

Stadtrat und Bürger gegen Feinstaub-Aktionismus

Der Planer sprach fließendes Fachchinesisch und zeitweise völlig an seinen gereizten Zuhörern im Justus-Liebig-Haus vorbei. Nicht nur die dumpfe Hitze im Bühnensaal hatte sie aufgeheizt, auch die Verkehrsbelastung vor ihren Haustüren.

Während die Bürger von der Vorstellung der „Verkehrsentwicklungsplanung bis 2015“ am Donnerstagabend erwarteten, dass sie Bedenken und Ängste wegen der geplanten Nordostumgehung loswerden könnten, spulte Thomas Novotny (Stete-Planung) eine Vorlesung mit einem Vokabular für Sachverständige ab.

Er sprach von Stadtverträglichkeit, Zuflussoptimierung und -dosierung, Netzabschnitten mit sensibler Randnutzung, klarer Hierarchisierung der Grünen Welle, bis einem genervten Anwohner der Klappacher Straße der Kragen platzte: „Ich bin fast tot von Ihrem Verkehr. Um 4 Uhr fangen die Autos an zu rollen. Ich kann’s nicht mehr ertragen!“

Der geplante Einsatz üblicher klassischer Lenkungsinstrumente – Ampelsteuerung, Tempo-30-Zonen — zur Zähmung der Autoströme enttäuschte: „Ich vermisse bei den Planern neue Ideen,“ beschwerte sich eine Zuhörerin.

Vor allem zu Beginn der von Stadtrat Dieter Wenzel nicht ungeschickt moderierten dreieinhalbstündigen Veranstaltung gab es Verständigungs- und Kommunikationsprobleme zwischen den Bürgern und den Stadtplanern, repräsentiert von Thomas Novotny (selbstkritisch: „Man hat so seine Scheuklappen“), Gisela Stete (Planungsgemeinschaft Stete/Habermehl und Follmann) und Norbert Stoll. Denn es ging um den brisantesten der sechs Bausteine des Verkehrsentwicklungsplans, den fließenden Individualverkehr.

Anwohner von Hügel- und Landskronstraße klagten ihr Leid. Eine Mutter aus dem Woogsviertel fürchtet um die Lebensqualität des Viertels, wenn auf der geplanten Nordostumgehung täglich 23 000 Fahrzeuge vorbeirauschen, „alle 28 Sekunden ein Laster“.

Im Mittelpunkt der Bürger-Informationsversammlung sollten eigentlich die in viereinhalb Jahren zusammengetragenen Ergebnisse des Verkehrsforums stehen: eine im Detail noch verhandelbare, bis 2015 umzusetzende Rahmenplanung für den Auto- und Lastwagenverkehr, Parkraumbewirtschaftung, die Entwicklung der Bus-, Straßenbahn-, Rad- und Fußgängerwegenetze.

„Ihr sitzt am Schreibtisch und plant einfach rum!“, empörten sich Zuhörer über die geballt auf sie einprasselnde Theorie und lenkten immer wieder das Gespräch auf das, was ihnen unter den Nägeln brennt, den Feinstaub-Aktionsplan.

Er sieht die Umleitung des Lkw-Verkehrs über Heidelberger Straße, Landskronstraße, Klappacher Straße, Nieder-Ramstädter Straße und Teichhausstraße vor, wenn in der Hügelstraße der EU-Grenzwert zum 33. Mal in diesem Jahr überschritten wird. Seit Januar war das bisher 27 Mal der Fall gewesen.

Bei diesem heißen Eisen hatten die Stadträte Dieter Wenzel und Klaus Feuchtinger keine Mühe, sich mit den betroffenen Bürgern zu verbünden. Die Landesregierung orientiere sich nur an den Messwerten der Messstation in der Hügelstraße, kritisierten sie.

Wegen des „Staubsaugereffekts“ am Tunnelausgang fielen diese aber automatisch höher aus. Da staunte so mancher Bürger und bohrte nach: Warum wird die Messstation dann nicht ab- und an anderer Stelle aufgebaut? Warum wird der Staub am Tunnelausgang nicht herausgefiltert?

Die Umleitung des Lastverkehrs ab 3,5 Tonnen auf eine 4,5 Kilometer längere Strecke, zu der die Stadt vom Land „freiwillig gezwungen“ werde, und damit die Verteilung des Feinstaubs auf viele, hält Dieter Wenzel für unsinnig.

Falls es zur 33. Überschreitung des Grenzwerts komme – damit rechnet er allerdings erst Ende November bis Anfang Dezember – werde er „diesen Quatsch“ nicht mitmachen und in letzter Konsequenz zivilen Ungehorsam zeigen. „Da muss uns das Ministerium schon zwingen.“

Mit diesem Aktionsplan wird laut Wenzel „kapitaler Unsinn“ fabriziert. Das zeige die Tatsache, dass die Zählung der Feinstaub-Überschreitungen zum 1. Januar 2006 auf Null zurückschnurrt. Andererseits lehne es die hessische Landesregierung ab, die Ursache zu bekämpfen und Rußpartikelfilter zu fördern.

Mit einer Frage brachte ein Bürger die Planer ins Schwitzen. Eine Balkengrafik zeigte die Spitzenzeiten des Wirtschaftsverkehrs unter 7,5 Tonnen in der Innenstadt an, in Prozenten. Dazu lagen keine absoluten Zahlen vor, die ja Grundlagen dieser Grafik gewesen sein müssen, und keinerlei Angaben über Laster mit mehr als 7,5 Tonnen.

Busse und Bahnen gelten als Heilsbringer, als saubere Alternative zum Auto. Angesichts der vorgeschlagenen ÖPNV-Streckennetz-Erweiterung bis 2015, die eine maximale Entfernung von dreihundert Meter zu einer Haltestelle garantiert, meldete sich ein Mann zu Wort, der an einer Bushaltestelle wohnt:

„Könnt ihr die Motoren der Busse nicht leiser machen? Brumm, brumm, brumm, alle 15 Minuten 80 Dezibel, furchtbar.“ Bürger leben eben in einer anderen Welt als Planer.

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