Panne an Bahnübergang zeigt, wie leicht der Verkehr in Darmstadt zusammenbrechen kann / 80 000 Pendler am Tag
Kleine Ursache, große Wirkung: Weil ein Lastwagen am Messeler Bahnübergang eine Schranke abriss, stauten sich auf den Einfallstraßen nach Darmstadt massenhaft Autos. Für das Verkehrsamt ein Paradebeispiel für den täglich drohenden Verkehrsinfarkt.
„Das ist ein ganz fragiles System“, sagt Norbert Stoll. Er leitet die Abteilung Verkehrsentwicklung im Darmstädter Straßenverkehrsamt. Und das, was am Mittwochmorgen tausende Pendler im Stau stehen ließ, ist für ihn der Beleg dafür, dass es auf Darmstadts Straßen keine Reserven mehr gibt.
Wie in den vergangenen Tagen so häufig war am Bahnübergang in der Kranichsteiner Straße die Signalanlage ausgefallen. Die Bahn kämpft dort mit den Tücken der Technik: Vermehrt versagten verschiedene elektronische Bauteile ihren Dienst. Laut Bahnsprecher Hartmut Lange ist der Hersteller inzwischen aufgefordert worden, das Material auszutauschen.
Bis am Mittwoch die Beamten des Bundesgrenzschutzes anrückten, um den Verkehr zu regeln, hatte sich eine lange Schlange gebildet. Als dann auch noch ein Lastwagen an einer Schranke hängen blieb und diese abriss, ging erst mal gar nichts mehr. Innerhalb von wenigen Minuten wurde aus der Schlange ein Stau bis nach Messel – und auch die Parallelstraßen waren bald dicht.
„Wahnsinnige Engpässe“
Für Norbert Stoll ein bekanntes Phänomen: „Wenn irgendwo ein Unfall passiert, verlagert sich der Verkehr in alle Richtungen.“ Und da Darmstadts Straßen ohnedies an der Kapazitätsgrenze sind, ist der Stau vorprogrammiert. Ihre Ursache hat die Verkehrsinfarktgefahr in der Wirtschaftskraft der Stadt, die fast ebenso viele Arbeitsplätze wie Einwohner hat. Täglich pendeln etwa 80 000 Menschen ein und aus, um in Darmstadt ihrem Beruf nachzugehen. Im Gegenzug verlassen gerade mal etwa 15 000 Darmstädter die Stadt, um ihr Brot zu verdienen. Für Stoll dokumentieren diese Zahlen „wahnsinnige Engpässe“ und eine „Überforderung des Systems“. „Wir müssen dringend das Netz ergänzen“, sagt er. Eine große Hoffnung ruht auf der Nordostumgehung. Sie werde einen großen Teil des West-Ost-Verkehrs („unser größtes Problem“) aufnehmen und die Stadt entlasten. Stoll: „Wir hoffen, nächstes Jahr Baureife zu erhalten.“
Die Umgehung alleine indes wird es nicht richten. Und für weitere Straßen fehlt einfach der Platz. Stoll setzt daher auf einen ganzheitlichen Ansatz, der sich auch im Verkehrsentwicklungsplan niederschlagen soll. Der Plan soll Ende des Jahres fertig sein. Einer von vielen Bausteinen soll sein, die Signaltechnik zu verbessern. Neue Steuerungsmodelle sollen auf Hindernisse reagieren, Umleitungen anbieten und so einen besseren Verkehrsfluss ermöglichen. „Das ist ein aufwändiges System und nicht von einem Jahr aufs nächste zu machen.“
Und noch etwas will Stoll den Entscheidungsträgern über den Verkehrsentwicklungsplan ins Stammbuch schreiben: „Wir müssen als Stadt attraktiver werden, damit viele Wege erst gar nicht nötig sind.“
Nicht minder aufwändig und auch ein Thema im Verkehrsentwicklungsplan ist der Ausbau des Angebotes an Bussen und Bahnen. Vor allen Dingen für die etwa 30 000 Pendler aus dem Kreis Darmstadt-Dieburg müsse der Öffentliche Personennahverkehr attraktiver werden. Eine Auffassung, der sich auch der Polizist im dritten Revier anschließt, der mit dem Unfall am Bahnübergang beschäftigt war. Denn wer von Pfungstadt nach Arheilgen anderthalb Stunden mit Bus und Bahn unterwegs ist, wird so schnell nicht aufs Auto verzichten.