Die Heftigkeit, mit der die benachbarten Landkreisgemeinden den Entwurf des Feinstaub-Aktionsplans für Darmstadt attackiert haben, ist im Darmstädter Rathaus auf „absolutes Unverständnis“ und auch bei der hessischen Landesregierung auf Erstaunen gestoßen.
Ein Krisengespräch aller Beteiligten am Montag hatte offenkundig nur scheinbar Annäherung gebracht. In Wiesbaden sei man „verwundert, weil das Gespräch in Bahnen verlief, die das nicht erwarten ließen“, sagte gestern der Sprecher des Umweltministeriums, Torsten Volkert. Er hatte an der Runde ebenfalls teilgenommen.
Volkert schilderte die Übereinkunft bei Abschluss des Gesprächs so: Umweltstaatssekretär Karl-Winfried Seif, der das Gespräch moderierte, habe das Ergebnis zusammengefasst, das er später an die Presse weiterleitete.
Dagegen habe es keinen Widerspruch gegeben. Weder der Landrat des Kreises Darmstadt-Dieburg, Alfred Jakoubek, noch die anwesenden Bürgermeister der Nachbargemeinden Mühltal, Rossdorf, Ober-Ramstadt und Reinheim hätten sich unzufrieden gezeigt.
Am Dienstag äußerten sich die Landkreisvertreter um so heftiger. Von einem „Plan mit Tücken“ und einem „Schlag in unser Gesicht“ war die Rede; die Darmstädter hätten „ihren Plan“ rücksichtslos durchgesetzt. Sogar mit einer Sammelklage vor dem Verwaltungsgericht wurde gedroht.
Bei dem Streit zwischen Stadt und Umlandgemeinden wolle er „nicht als Schiedsrichter fungieren“, kommentierte Staatssekretär Seif die Auseinandersetzung. Volkert erklärte, das Ministeriums beabsichtige weiterhin, den Plan in der kommenden Woche zu verabschieden.
Bei dem Gespräch am Montag hatte auch Staatssekretär Bernd Abeln als Vertreter des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums teilgenommen, dem für die Umlandgemeinden eine Schlüsselrolle zukommt. Denn die von den Nachbargemeinden verlangten Durchfahrtsperrungen als Schutz vor Lkw-Ausweichverkehr können nicht – wie in Darmstadt geplant – nach dem Immissionsschutzgesetz als Maßnahme gegen Feinstaub verhängt werden.
Denkbar seien aber Sperrungen gemäß Paragraph 45 der Straßenverkehrsordnung, erklärte Abeln am Mittwoch. Dafür ist sein Ministerium zuständig. Abeln hatte den Landkreisvertretern am Montag zugesagt, die Möglichkeit für solche Sperrungen „eingehend zu prüfen“.
Dafür müsse zunächst die Verkehrsbelastung ermittelt werden, erläuterte Abeln gestern. Sperrungen seien denkbar als Schutz vor übermäßigem Lärm oder bei Gefahrenstellen. Dafür gebe es klare Regelungen. Zudem müssten Ausweichstrecken vorhanden sein. „Das ermitteln jetzt meine Leute“, sagte Abeln. Voraussichtlich noch vor Jahresende werde das Ergebnis feststehen.
Verständnislos angesichts der Landkreis-Reaktion zeigte sich gestern Umweltdezernent Klaus Feuchtinger, der an der Spitze der Darmstädter Delegation an dem Gespräch in Wiesbaden teilgenommen hatte: „Es ist die falsche Taktik, auf Darmstadt einzuschlagen, wenn es darum geht, die eigenen Verkehrsprobleme vor Ort zu lösen.“
Das Verkehrsministerium sei ja durchaus auf diese Anliegen eingegangen. Es gebe jetzt eine „große Chance, den Fernverkehr auch aus den Landkreisgemeinden herauszuhalten“.
Den Bürgermeistern der Nachbargemeinden warf Feuchtinger vor, sie hätten die meiste Zeit „schweigend dabeigesessen“; zudem hätte er von ihnen eine „bessere Vorbereitung erwartet – ihr Kenntnisstand war doch erstaunlich gering“. Der Stadtrat verwies nochmals darauf, dass Darmstadt zu wirksamen Maßnahmen gegen die Feinstaublast gesetzlich verpflichtet sei.
Angesichts der deutlich gewordenen Vorbehalte im Umland gegen die Stadt zeigte sich Feuchtinger ratlos. „Ich habe hier angefangen mit dem guten Willen, mich mit jedem zu verständigen“, sagte er. „Aber ich weiß auch nicht, wie ich mit solch heftigen Reaktionen und solcher Aggressivität umgehen soll.“
Anwohner der Darmstädter Durchgangsstraßen zeigten sich unterdessen enttäuscht von der Neufassung des Aktionsplans. „Das wird nicht zu einer Senkung der Feinstaubwerte führen“, sagte Susanne Roth, die in einer Nebenstraße der Hügelstraße wohnt, wo die Feinstaub-Belastung am höchsten ist. Das Nachtfahrverbot bringe für die Luftreinhaltung wenig.
„Wer denkt eigentlich an die Gesundheitsbelastung für die 750 Schüler am LGG?“, fragte Roth, deren eigener elfjähriger Sohn dort zur Schule geht. Die örtliche CDU meldete sich am Mittwoch ebenfalls zu Wort. „Darmstadt muss jetzt handeln“, erklärte der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gehrke. Er zeigte sich „über die mangelhafte Kommunikation und die andauernden Streitigkeiten zwischen den Nachbarkommunen und dem Darmstädter Magistrat verwundert“.
Der Vorsitzende der Landkreis-CDU, der Bundestagsabgeordnete Andreas Storm, nannte es „fatal, wenn sich der Landkreis bei dieser Debatte vom Darmstädter Magistrat nicht ernst genommen fühlt. Es kann nicht sein, dass dringend notwendige und gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung von den Nachbarn letztlich als Schlag ins Gesicht wahrgenommen werden.“ Die CDU unterstützt prinzipiell die Regelungen des Aktionsplans.
In Wiesbaden wurde auf das Beispiel Frankfurts verwiesen, das vor der Verlängerung von Rotphasen bei einer Pförtnerampel an einer Einfallstraße das Gespräch mit der betroffenen Nachbargemeinde Bad Vilbel gesucht habe. So habe man Konflikte frühzeitig entschärft. Der Aktionsplan für Frankfurt sei denn auch ohne Proteste des Umlands verabschiedet worden.