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05.08.2009

Quelle:Darmstädter Echo

„Keine Last, sondern eine Chance“

Lokales Dialogforum: Fachanwalt Berghäuser plädiert für eine stärkere Beteiligung von Bürgern an politischen Prozessen

„Die Idee von Oberbürgermeister Walter Hoffmann, ein Lokales Dialogforum zur Nordostumgehung einzurichten, ist prinzipiell gut, kommt aber viel zu spät. Das hätte in der ersten Phase der Bürgerbeteiligung stehen müssen.“ Diese Ansicht vertrat Klaus Berghäuser, seit 1982 in Darmstadt ansässiger Fachanwalt für Verwaltungsrecht, gestern im Gespräch mit dieser Zeitung. Der promovierte Siebenundfünfzigjährige, für viele Städte und Gemeinden tätig, hat sich auf Bürgerbeteiligung spezialisiert.

Er ist skeptisch, dass das Dialogforum tatsächlich ergebnisoffen ist, also die Möglichkeit besteht, die Nordostumgehung zu stoppen. Es sei schwierig, gefasste Entscheidungen umzuwerfen, denn da seien viel Zeit, Mühe und Geld reingeflossen.

Auf keinen Fall, so der Anwalt, dürfe das Forum eine Alibiveranstaltung oder eine Spielwiese werden, denn dann führe das Verfahren zu großen Frustrationen. Leider sei das Dialogforum als „closed shop“ (geschlossene Veranstaltung, Anm. d. Red.) konzipiert und solle nichtöffentlich tagen. „Öffentlichkeit ist bei solchen Prozessen aber ein ganz wichtiges Kriterium“, sagt Berghäuser. Das Gremium müsse öffentlich und transparent arbeiten. Dabei greift er auf Erfahrungen zurück, die er beispielsweise als Mediator in Dreieich gewonnen hat.

Seit Jahr und Tag streitet Berghäuser für mehr Bürgerbeteiligung, nicht zuletzt deshalb, weil die Beteiligung an Kommunalwahlen, zum Teil auch bei Landtagswahlen, seit Jahren schwindet. Zentraler Punkt, diesen Tendenzen entgegenzuwirken, müsse es sein, die Bürger stärker in politische Prozesse und Entscheidungen einzubinden.

Die beiden Ansätze in Hessen – Direktwahl von Bürgermeistern und Landräten sowie größere Einflussmöglichkeiten bei der Kommunalwahl durch Kumulieren und Panaschieren (Veränderung der von den Parteien vorgegebenen Kandidatenlisten) – hätten nicht gezündet. Gefragt seien neue Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung, sagt der Fachanwalt.

In einer Bestandsaufnahme „15 Jahre Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in Hessen“ , veröffentlicht in der „Hessische Städte- und Gemeinde-Zeitung“, kommt er zur Einschätzung, diese Form der direkten Demokratie habe sich bewährt: „Sie fungiert gleichsam als Jungbrunnen für ein demokratisches System, das bei Landtags- und Kommunalwahlen erheblich unter der Wahlmüdigkeit der Wahlberechtigten leidet.“ Bürgerbegehren und -entscheid förderten die Entwicklung demokratischer Streitkultur. Wenn es um Belange „direkt vor der Haustür“ gehe, erführen Bürger, „dass Kommunalpolitik bürgerlicher Partizipation sowie ihren Gestaltungswünschen unmittelbar zugänglich“ seien.

Allerdings kritisiert Berghäuser die hohen Hürden, die der Gesetzgeber vor der Bürgerbeteiligung errichtet habe. Am interessantesten im Zusammenhang mit dem gescheiterten Bürgerentscheid vom 7. Juni ist seine Forderung, das nötige Quorum für große Städte zu senken.

In Hessen ist ein Bürgerentscheid nur wirksam, wenn seine Initiatoren mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten für ihr Anliegen gewinnen können. An dieser Voraussetzung war der Entscheid über die Nordostumgehung wegen 204 fehlender Stimmen gescheitert.

Berghäuser hält diese Hürde für große Städte zu hoch und plädiert dafür, dem Staffelmodell von Bayern zu folgen. Dort gilt, je nach Größe der Kommune, ein Quorum von 20, 15 oder 10 Prozent.

„Wenn es um den Bau eines neuen Feuerwehrhauses geht, kriegen Sie in Dörfern, weil es alle angeht und interessiert, leicht eine hohe Beteiligung. Aber viele Eberstädter interessieren sich nur am Rande für den Bau der Nordostumgehung“, verdeutlicht er sein Anliegen. Die Mobilisierung sei da am größten, wo die Menschen direkt betroffen seien.

Auch die Landes-SPD hat sich in einem Gesetzentwurf Ende Mai vergangenen Jahres für eine solche Staffelung ausgesprochen. Danach sollten in Gemeinden unter 50 000 Einwohner eine Mehrheit von 20 Prozent, darüber 15 Prozent für den Erfolg des Bürgerentscheids gelingen. Wäre dies Gesetz geworden, wäre die Nordostumgehung vom Tisch gewesen. „Leider“, so schrieb der SPD-Landtagsabgeordnete Michael Siebel Anfang des Jahres einem Bürger, „ist durch die Auflösung des hessischen Landtags am 19. November 2008 das Vorhaben erstmal gestoppt worden.“ Pikanterweise strebt die hiesige SPD unbeeindruckt davon den Bau der Nordostumgehung an.

Berghäuser rät, die Bürgerbeteiligung nicht als Last, sondern als Chance zu begreifen. Dies müsse doch auch den unter Auszehrung leidenden Parteien nutzen, findet er.

Ein relativ neues Mittel der Bürgerbeteiligung wurde 2004 ins Baugesetzbuch (BauGB) aufgenommen. Paragraf 4 a IV 1 BauGB erlaubt es Kommunen, bei Bauleitplanverfahren ergänzend zur vorgeschriebenen Öffentlichkeitsbeteiligung elektronische Informationstechnologien („E-Partizipation“) zu nutzen.

Der Gesetzgeber lade damit die gesamte interessierte Öffentlichkeit ein, sich zu einem Zeitpunkt an der Konkretisierung der Planung zu beteiligen, an dem sich diese noch in einer Frühphase befindet und in der Regel eine gewisse Flexibilität aufweise, schreibt Berghäuser in einem aktuellen Aufsatz über E-Partizipation in der „Neuen Zeitschrift für Verwaltungsrecht“.

Bezogen auf das Lokale Dialogforum schildert Berghäuser die Vorteile so: „E-Partizipation ist ausdrücklich nicht an den Wohnort gebunden. So könnte auch ein Roßdörfer mitreden, denn aus dem Umland kommt ja ein hoher Druck zum Bau der Nordostumgehung.“

Durch E-Partizipation entstehe ein breiter Fundus an Erfahrungen und Gesichtspunkten für den vorgeschriebenen Abwägungsprozess: „Planer mögen das aber nicht, weil sie denken, sie wüssten schon alles.“

Harald Pleines
5.8.2009

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