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11.02.2006

Quelle:Darmstädter Echo

Abriss über den Köpfen der Reisenden

Über allen Arbeiten wacht Darmstadts Denkmalschutzleiter Nikolaus Heiss

Da liegt es nun, das Bahnhofsdach, zerbrochen in tausend Brocken. Lauter Betonstückchen füllen den Container, rußgeschwärzt. „Das ist noch aus der Dampflokzeit“, sagt Ludwig Schumacher und meint die schwarzen Spuren.

Aber da der Darmstädter Hauptbahnhof einst so modern errichtet wurde, dass der Rauch der Lokomotiven sich nicht in der Halle sammelte, sondern ins Freie entwich, ist es wohl ganz einfach der Dreck aus hundert Jahren, der an den Steinen haftet.

Schumacher ist Projektmanager der Bahn für die Sanierung des Darmstädter Hauptbahnhofs, die seit nunmehr sieben Jahren betrieben wird. Zwischen 1999 und 2002 wurde zunächst nach Plänen des Darmstädter Büros Felgenträger und Franz das Empfangsgebäude wieder hergerichtet.

Nun ist die Bahnsteighalle dran. Anfangs hatte man angenommen, dass Reinigung und Ausbesserung der stählernen Konstruktion sowie der Bimsbetonkassettendecke ausreichen würden.

Ein Irrtum, wie sich herausstellte. 2004 kündigte die Bahn an, die Dächer des Querschiffs und der Bahnsteige müssten komplett ersetzt werden – als zu stark hatten sich die Korrosionsschäden herausgestellt.

Der Neubau sollte 30 Millionen Euro kosten; inzwischen, so teilte am Freitag Pressesprecher Oliver Gutheil mit, sei man sicher, mit 26 Millionen auskommen zu können. Die Sanierung des Empfangsgebäudes hatte bereits 24 Millionen Euro verschlungen.

Planung und Ablauf der Bauarbeiten in der Bahnsteighalle erwiesen sich „als ungleich komplizierter“ im Vergleich zu den früheren Etappen, wie Schumacher erklärt. „Denn hier arbeiten wir unter dem rollenden Rad.“

Täglich passieren achthundert Züge die Station; mit 35 000 Reisenden am Tag gehört der Darmstädter Bahnhof zu den am meisten frequentierten in Hessen. Die Ingenieure und Techniker hatten sich der Bedingung der Betriebsleitung unterzuordnen: Der Verkehr darf nicht gestört werden.

Um dies zu gewährleisten, wurde im vergangenen Jahr am alten Fürstenbahnsteig erst mal ein Behelfsperron gebaut, mit einer Höhe von 76 Zentimeter für S-Bahnen und Regionalzüge tauglich. Dazu kamen extra Abstellgleise für die S-Bahnen. So hatte man einen Ausweichbahnsteig hinzugewonnen, der immer dann benutzt wird, wenn wegen der Bauarbeiten ein anderer Bahnsteig gesperrt werden muss.

Dann wurden die Fundamente für die Zwischendecke betoniert, die – auf 24 Stahlstützen – mittlerweile den gesamten Querbahnsteig überdacht. Damit hatte man in luftiger Höhe eine rund hundert Meter lange Arbeitsplattform geschaffen, von der aus die riesigen stählernen Binder des Dachgewölbes und die Kassettendecke abgebrochen werden. Diese Arbeit geht erstaunlich schnell. Vor gut einer Woche begonnen, ist schon ein ordentliches Stück des Daches verschwunden.

Dach und Tragwerk stammen noch aus der Bauzeit des Bahnhofs, 1910 bis 1912. Gelegentliche Sanierungen hatten nicht verhindern können, dass die Statik der gewaltigen Halle instabil wurde. Deshalb waren schon vor geraumer Zeit zusätzliche Versteifungen eingebaut worden; auch verunzieren seitdem Spanngurte den Raum über den Köpfen der Menschen auf dem Querbahnsteig.

Damit nicht alles von allein auseinander fällt, hatte DB-Projektbau das Darmstädter Ingenieurbüro Lange und Ewald mit einer Abrissstatik beauftragt – „so ist jeder Schritt auf seine Konsequenzen hin berechnet worden“, versichert Projektleiter Tindaro Salvia, der die Arbeiten der beteiligten Firmen Donges-Stahlbau und Strabag koordiniert.

Deswegen wird zuerst auch nur das Mittelteil der Dachkonstruktion herausgeschnitten; außen bleiben die Binder wie angebissene Strohhalme stehen. Bis Mitte März will man mit dem Abbruch bei der Bahngalerie angekommen sein, also der westlichen Fortsetzung des Querbahnsteigs.

Dann beginnt der Abriss des Bahnsteigsdachs an den Gleisen 11 und 12. Der Wiederaufbau erfolgt von Westen her. Das neue Dach an den Gleisen 11 und 12 wird aufgesetzt und in der Höhe der erste Abschnitt der neuen Querbahnsteighalle gebaut.

Dann wird das Dach an den Gleisen 9 und 10 abgerissen, wieder errichtet und oben der nächste Abschnitt der Halle aufgestellt. Und immer so fort, bis wieder das Empfangsgebäude erreicht ist. Insgesamt werden 7000 Quadratmeter Dachfläche und tausend Tonnen Stahl ersetzt.

Und über allen Arbeiten wacht nicht Bahnchef Mehdorn, wohl aber Darmstadts Denkmalschutzleiter Nikolaus Heiss. Nicht nur das „rollende Rad“ ist zu beachten, sondern auch die Wiedererschaffung des ursprünglichen Erscheinungsbildes.

Weil man heute schweißt und nicht mehr nietet, werden auf die Stahlträger Bleche mit künstlichen Nieten geschraubt, weil man heute nicht mehr mit Bimsbeton hantiert, wird die Decke aus Aluminiumkassetten gebildet, die betongrau übersprüht werden. Hauptsache, es sieht so aus, „als ob“.

Und am Ende wird gestrichen. Heiss hat als Originalfarbe für den Stahl „dunkles Glimmergrün“ herausgefunden, bahnamtlich trägt der Ton die Bezeichnung „DB 603“. Das wird also wieder aufgepinselt.

Parallel dazu erhält auch der „Fürstensteg“ – eigentlich war er für den Gepäcktransport da – eine aufgefrischte Fassade. Diese Restaurierung „bezahlen wir sogar aus Eigenmitteln“, sagt Gutheil stolz. Die Bahnsteighalle nämlich wird direkt vom Bund bezahlt.

Zweieinhalb Jahre müssen sich die Reisenden noch gedulden: Im Herbst 2008 wird, wenn alles gutgeht, die Halle fertig sein. Ein knappes Jahrzehnt hat die Sanierung des Darmstädter Hauptbahnhofs dann gedauert – und ungerechnet 100 Millionen Mark gekostet.

Wahrlich genug Aufwand, um dort auch höherwertige Fernzüge halten zu lassen. Doch das ICE-versprechen, auf das die Darmstädter so sehnlich warten, steht immer noch aus.

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