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15.11.2005

Quelle:Darmstädter Echo

Vision im Darmstädter Untergrund

TU-Forscher brüten über Tunnelbau – Zwei Euro Maut pro Durchfahrt?

„Sehr visionär“ sei dieser Vorschlag, sagte Walter Hoffmann, als er erstmals davon hörte.

Wie diese oberbürgermeisterliche Verlautbarung ins Deutsche zu übersetzen ist, darüber machte sich Rolf Katzenbach keine Illusion. „Das war eine vorsichtige Umschreibung für: Du spinnst!“, weiß der Geotechnik-Professor.

Aber der Wissenschaftler ließ nicht locker und ergriff wenig später die Gelegenheit beim Schopf, dem Stadtoberhaupt persönlich in dessen Amtszimmer die „sehr visionäre“ Idee zu erläutern und schmackhaft zu machen: eine Untertunnelung Darmstadts.

Es klingt ja eigentlich ganz einfach. Darmstadt leidet am Durchgangsverkehr vor allem auf der West-Ost-Achse B 26 – also legt man diesen Verkehr unter die Erde und löst das innerstädtische Lärm-, Stau-, Sicherheits- und Feinstaubproblem mit einem Streich.

„Der Leidensdruck ist da“, sagt Katzenbach. Aber Leidensdruck allein baut keinen Tunnel. Die wichtigere Frage lautet: Ist auch das Geld da? Um welche Beträge geht es überhaupt?

Bauingenieur Katzenbach – der unter anderem den Bau des Lohrbergtunnels bei Nieder-Ramstadt als technischer Sachverständiger begleitet – redet nicht einfach ins Blaue hinein. Gemeinsam mit dem TU-Verkehrsplaner Professor Manfred Boltze bastelt er nach eigenen Worten „schon länger an dieser Wahnsinnsidee herum“.

Im Institut für Geotechnik an der TU Darmstadt sind bereits zwei Studien für einen Straßentunnel unter Darmstadt erarbeitet worden.

Studie eins ist eine 2002 veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit des Dieburger Bauingenieur-Studenten Henning Stummer über die „Entlastung der Darmstädter Innenstadt durch einen Straßentunnel“.

Auf 100 Seiten schildert Stummer die Verkehrsprobleme, analysiert den Untergrund und prüft Varianten für Verlauf, Ausgestaltung und Bauweise eines Tunnels.

Seine Überlegungen führen ihn zum Entwurf eines Doppelstock-Straßentunnels – das bedeutet, dass jeweils zwei Fahrspuren in Ost-West- und West-Ost-Richtung übereinander liegen.

Der von ihm konzipierte 2,6 Kilometer lange Tunnel verläuft zwischen Hanauer Straße in Höhe Ostbahnhof und Rheinstraße etwa in Höhe der Aral-Tankstelle und folgt der jetzigen B 26, liegt also unter Landgraf-Georg-Straße, Schlossgraben, Zeughausstraße, Bleichstraße und Steubenplatz.

Stummer empfiehlt, die Tiefgarage „Schlossgaragen“ sowie den Wilhelminentunnel an den neuen Tunnel anzuschließen. Am Mathildenplatz solle es eine Ein- und Ausfahrtrampe geben.

Für den Bau müssten die Straßen, unter denen der Tunnel verlaufen soll, aufgerissen werden; Stummer schätzt die Bauzeit auf vier Jahre. Die Baukosten veranschlagt er mit 132 Millionen Euro.

Studie Nummer zwei befindet sich noch in einem sehr frühen Stadium. Bislang besteht sie vor allem in einem schwungvollen Bleistiftstrich auf einem Stadtplan und in einer Überschlagsrechnung auf einem karierten Din-A-4-Blatt. Autor: Professor Rolf Katzenbach.

Der Hochschullehrer lässt durchblicken, dass er die Arbeit seines Studenten für zu kurz gedacht hält – im wörtlichen Sinn: Katzenbachs Tunnel ist mit 5000 Meter fast doppelt so lang, führt vom Autobahnzubringer im Westen direkt auf die vierspurige Schnellstraße im Osten.

Seine Unterführung fällt allerdings nur zweispurig aus. Der Tunnelexperte will sich – anders als sein Schüler – mit Kellern, Tiefgaragen und Wasserleitungen im Darmstädter Untergrund gar nicht erst herumärgern.

Er plädiert dafür, den Tunnel ohne Ausschachtung von oben durchs Gestein zu bohren und dabei ordentlich in die Tiefe zu gehen. Daher kann sich sein Tunnel-Entwurf weitgehend vom oberirdischen Straßenverlauf lösen.

Katzenbach rechnet mit Kosten von 50 000 Euro pro Tunnelmeter, also 250 Millionen Euro für das Fünf-Kilometer-Bauwerk, zuzüglich 50 Millionen für „Kreuzungsbau etc.“, macht 300 Millionen Gesamtkosten. Die jährlichen Betriebskosten veranschlagt der Experte mit 24 Millionen Euro. „Mit Mitteln aus öffentlichen Haushalten ist das nicht darstellbar, das ist klar“, schob Katzenbach eilig hinterher, als OB Hoffmann im Gespräch bei diesen Zahlen zusammenzuckte. Seine Lösung: private Finanzierung des Projekts in so genannter „Private-public-partnership“ (PPP), wie sie in Deutschland mittlerweile gesetzlich zulässig ist.

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