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01.02.2006

Quelle:Darmstädter Echo

"Die Lobby hat mal wieder gesiegt"

Feinstaub - Anwohner von Hügel- und Landgraf-Georg-Straße zeigen sich empört über die Aussetzung des Aktionsplans

Hügelstraße, Dienstag, Tag eins nach der Aussetzung des Feinstaub-Aktionsplans. Um 11.14 Uhr donnern 26 Autos und Transporter vorbei. Um 11.15 Uhr sind es 35 plus drei Lastwagen. Um 11.16 Uhr wälzen sich 38 kleinere und größere Fahrzeuge und drei Dicke Sattelschlepper aus dem Tunnel. Drei Laster und 23 Autos sind es um 11.17 Uhr. Zwei Laster und 49 kleinere Fahrzeuge folgen um 11.18 Uhr. Macht 171 Autos und elf Lastwagen in fünf Minuen - mittags, außerhalb der Hauptverkehrszeit.

Kein Wunder, dass die Luft nach Abgasen stinkt. Kein Wunder, dass die Häuser eine dicke Dreckschicht tragen, selbst die frisch renovierten. Das Gelb der Messstation, die gestern erstmals seit sieben Tagen keine Überschreitung des Tagesgrenzwerts an Feinstaub verzeichnete, ist schmutzig. Die Schneereste am Straßenrand sind grauschwarz, auch der Schnee auf dem Efeubeet an der Einbiegung zur Schützenstraße wird von einer Rußschicht bedeckt.

Nur noch raus zum Blumengießen

Ingeborg Armbrust wohnt in der Hügelstraße, seit das Haus gebaut wurde. Das war 1953. „Wir waren die ersten die eingezogen sind“, sagt sie. Früher saß sie mit ihrer Familie oft auf ihrem Balkon. Das war unser viertes Zimmer." Heute ist der Außensitz zur Hügelstraße frisch saniert. "Aber heute kann man da nicht mehr draußen sitzen", sagt sie und öffnet zur Demonstration die Balkontür, "ich geh' nur noch raus zum Blumengießen." Eben fährt in Sattelzug aus Holland vorbei. „So große Kerle kommen da immer daher", sagt sie.

Dass wegen der Verbreiterung er Bundesstraße 426 südlich von Eberstadt die beiden zentralen Elemente des Feinstaub-Aktionsplans, nämlich die Sperrung der Durchfahrt und das Nachfahrverbot für Lastwagen, für mindestens ein halbes Jahr ausgesetzt wird, "das ist doch Spinnerei", sagt Ingeborg Armbruster. "Hier wär's doch am Allerdringendsten hier und in der Landgraf-Georg-Straße."

Im Gegensatz zu Ingeborg Armbruster hat Peter Voltzenlogel aus dem Nachbarhaus noch nichts vom aussetzen des Aktionsplans gehört. „Was?“, fragt er. "Ätzend!" Seit mehr als zehn Jahren wohnt er in der Hügelstraße. "Über das Nachfahrverbot hätte ich mich sehr gefreut", sagt er, das rumpelt mit dem Schwerlastverkehr. " Peter Voltzenlogel hat keinen Balkon, den er nicht nutzen kann. Seine Nachbarin Marianne Winkelmann, seit zwanzig Jahren Anwohnerin, schon. "Nicht zum Aushalten" sei der Verkehr, sagt sie. Und der ganze Ruß. "Wenn Sie heute putzen, müssen Sie morgen schon wieder ran", sagt sie.

Ruzica Klier wohnt noch ein Haus weiter, seit mehr als acht Jahren. "Ich finde nicht es gut, dass der Aktionsplan gekippt wird", sagt sie. Wenn sie ein Fenster aufmache, höre sie den Fernseher" nicht mehr. "Aber was können wir dagegen machen?", fragt sie und gibt auch gleich selbst die Antwort: „Gar nichts."

Der schwedische Lastwagen von "Önnerups Transport", der jetzt aus dem Tunnel auftaucht, verspricht auf der Plane seines Sattelaufliegers die Lieferung der bestellten Ware "Just in Time". Zum benötigten Zeitpunkt, heißt das: Die öffentliche Straße wird für private rollende Lagerhäuser missbraucht, die nicht den Eigentümer der Waren Bau und Unterhalt kosten, sondern die Allgemeinheit. "Önnerups Transport" gibt Gas an der Steigung, tuckert vor an die Ampel, biegt links in die Holzstraße und später rechts in die Landgraf-Georg-Straße ein.

Eine Nachricht wie ein Genickschuss

Dort wohnt Axel Tegeder, der am Dienstagmorgen aus der Zeitung erfahren hat, dass der Traum von der Lkw-Sperrung vorerst ausgeträumt ist: "Was ich da gelesen hab ist wirklich hammerhart, ein Verbrechen.“ Tegeder spart nicht mit drastischen Worten für seinen Ärger: „Kriminell, wie ein Genickschuss, man fühlt sich verarscht. " Irgendwas müsse man dagegen unternehmen, findet er. Aber was? Demonstrieren, eine Bürgerinitiative gründen, das bringe doch nichts.

"Die Lobby aus Politik und Wirtschaft hat mal wieder über den Bürger gesiegt", so sieht es Norbert Schneider aus der Weststadt, der sich telefonisch beim ECHO meldete. "Wo ist denn der OB, der ständig fotografiert wird?", fragt er. "Der gehört doch jetzt auf die Seite der Bürger."

Auf Besserung durch die Lkw-Sperrung hatten auch die Eltern der LGG-Schüler gehofft; das Ludwig-Georgs-Gymnasiums liegt am Ausgang der Hügelstraße. "Wir haben extrem unter dem Verkehr zu leiden", sagt Silvia Tomm, Vorsitzende des Schulelternbeirats. Vor allem nehme man natürlich den Lärm wahr. Die alten Fenster der Klassenräume seien alles andere als schalldicht, öffnen könne man sie erst recht nicht, auch wegen des Feinstaubs. Und dann ist da noch das Sicherheitsproblem. "Der Schulhof grenzt unmittelbar an die Straße“, sagt Tomm, „wenn da mal ein LKW ins Rutschen kommt, ist ganz schnell etwas schlimmes passiert.“

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