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31.03.2005

Quelle:Zeit.de

Interview: "Viele haben geschlafen"

Wie gefährlich ist Feinstaub in der Atemluft? Der Präsident des Umweltbundesamtes, Andreas Tröge, über wirksame Strategien gegen den Ruß. Ein ZEIT-Gespräch

DIE ZEIT: Herr Troge, Ihr Dienstfahrzeug ist ein Diesel, oder?

Andreas Troge: Ja, seit eineinhalb Jahren

ZEIT: Etwa ein Stinker?

Troge: Natürlich nicht. Wir haben einen Wagen aus einer Wolfsburger Autoschmiede gekauft und mit einem Rußfilter nachgerüstet. Die Autoindustrie behauptete übrigens damals noch, das funktioniere nicht. Tatsächlich arbeitet der Filter hervorragend. Er hält mehr als 95 Prozent der Partikel zurück.

ZEIT: Welche Gefahr verursachen filterlose Diesel?

Troge: In modernen, hoch verdichteten Dieselmotoren wird der Kraftstoff sehr fein zerstäubt, sehr klein und deshalb unsichtbar sind die Rußpartikel, die aus dem Auspuff kommen. Dieser Feinstaub dringt tief in die menschlichen Lungen ein und kann vor allem zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen. In Ballungsräumen stammt rund die Hälfte des Feinstaubs aus Dieselautos.

ZEIT: Die deshalb zu Unrecht das Image haben, geradezu Ökomobile zu sein?

Troge: Dieselautos sind keine Ökomobile. Sie stoßen bei gleicher Leistung zwar 10 bis 15 Prozent weniger Kohlendioxid aus als Autos mit Ottomotor. Aber sie produzieren mehr gesundheitsschädliche Stickoxide und eben feine Rußpartikel – wenn sie nicht mit Partikelfiltern ausgestattet sind.

ZEIT: Wie viele Tote kostet der Dieselruß?

Troge: Ich rechne nicht gerne Tote hoch. Aber wir haben europaweit festgestellt, dass Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Atemwegs-Erkrankungen öfter ins Krankenhaus müssen. Bei diesen Risikogruppen steigt das Todesrisiko kurzfrstig um ein Prozent, wenn sie erhöhten Feinstaubbelastungen ausgesetzt sind. Auf längere Sicht rechnen wir damit, dass sich pro 10 Mikrogramm Feinstaub je Kubikmeter Atemluft unser aller Lebenserwartung um sechs Monate verkürzt.

ZEIT: Die EU erlaubt 50 Mikrogramm. In München und Stuttgart ist dieser Grenzwert seit Anfang des Jahres bereits öfter als erlaubt überschritten worden, andere Städte werden folgen. Sind daran bloß die Diesel schuld oder auch andere Verursacher?

Troge: Schuld daran sind nicht nur die heutigen Dieselfahrten, sondern auch, wenn Sie so wollen, die der Vergangenheit. Der von ihnen verursachte Feinstaub hat sich auf unseren Straßen abgelagert und wird durch den Verkehr wieder aufgewirbelt. Hinzu kommt der Abrieb von Reifen und Bremsbelägen – unabhängig davon, ob das Fahrzeug mit Diesel- oder Ottomotor ausgestattet ist.

ZEIT: Und die Lkw?

Troge: …sind mit schuld, außerdem auch Baumaschinen. Deshalb fordern wir den Partikelfilter auch für Nutzfahrzeuge und Baumaschinen. Er ist ebenfalls längst in Serie verfügbar und muss kommen.

ZEIT: Wie konnte es so weit kommen, dass vielerorts die EU-Grenzwerte nicht eingehalten werden? Da hat doch jemand geschlafen, oder?

Troge: Viele haben geschlafen. Die EU-Richtlinie ist im Sommer 1998…

ZEIT: …noch während der Amtszeit der damals unionsgeführten Bundesregierung…

Troge: …als politische Einigung durch den europäischen Ministerrat gegangen. Dann sind die Vorschriften mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates in nationales Recht umgesetzt worden. Und dann… Aber das ist schwer zu erklären.

ZEIT: Versuchen Sie es doch einmal.

Troge: Ja, dann ist die Angelegenheit offenbar nicht ernst genommen worden, und man hat sich auf die gerade beschlossenen Vorschriften nicht vorbereitet. Die Städte und die Länder, die für die Luftreinhaltung zuständig sind, haben einige Jahre lang jedenfalls ihre Planungen ohne das neue Recht gemacht. Erst jetzt werden Luftreinhaltepläne verabschiedet, erst jetzt werden Aktionspläne diskutiert. Obwohl eigentlich genug Zeit war, haben wir deshalb nun den Knautscheffekt, der vermieden werden sollte.

ZEIT: Ein Knautscheffekt mit Folgen. Kommunen werden verklagt, dem Bund droht ein Bußgeld aus Brüssel. Lässt sich das noch abwenden?

Troge: Das ist eine Frage des Verhandlungsgeschicks der Politiker. Klar ist nur, dass der Grenzwert nicht verhandelbar ist. Die Bürger müssen sich auf die Schutzwirkung verlassen können. Deshalb sind sie klagebefugt.

ZEIT: Was können die Kommunen jetzt tun, um den Feinstaub aus der Luft zu vertreiben?

Troge: Sie sollten jedenfalls nicht auf den Partikelfilter warten – obwohl die Neuwagenkäufer sich mittlerweile ja erfreulich oft für den Filter entscheiden.

ZEIT: Weil filterlose Diesel gebraucht weniger…

Troge: …wert sind. Aber angesichts von neun Millionen Diesel-Pkw auf unseren Straßen ist kurzfristige Abhilfe dadurch nicht zu erhoffen. Deshalb brauchen wir auch eine umfassende Nachrüstung von Dieselmotoren.

ZEIT: Was noch?

Troge: Die Länder und Städte, die für die Maßnahmen zuständig sind, müssen sich zunächst fragen, aus welchen Quellen der Dieselruß stammt. 50 Prozent kommen aus Dieselmotoren, 30 Prozent sind Ablagerungen auf den Straßen, der Rest wird zugeweht, zum Teil von weit her. Diese Komponente lässt sich von der einzelnen Stadt nicht bekämpfen, aber die anderen 80 Prozent.

ZEIT: Durch Fahrverbote?

Troge: Das ist die Ultima Ratio. Ich plädiere für Nutzervorteile für saubere Fahrzeuge, also solche mit Katalysator, Partikelfilter oder Erdgasmotor – temporär befristet und immer nur in den Gebieten, in denen die Feinstaubbelastung besonders zu steigen droht. Die rußigen Fahrzeuge können dann während der Feinstaub-Hochzeiten nicht mehr fahren. Dieses Verfahren ist schon beim Kampf gegen den Wintersmog erfolgreich praktiziert worden, als man nur noch fahren durfte mit der richtigen Plakette im Fenster. Darüber hinaus empfehle ich für den Gesamtverkehr eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf innerstädtischen Hauptstraßen: Tempo 30 statt 50, falls Grenzwertüberschreitungen drohen.

ZEIT: Warum das?

Troge: Weil dadurch erstens weniger Staub aufgewirbelt wird und zweitens auch weniger aus den Abgasrohren kommt. Ein Tempolimit wäre jedenfalls eine mildere Maßnahme, als gleich ganze Stadtteile zu sperren. Außerdem sollte versucht werden, mit vernünftigen Methoden der Straßenreinigung die Staubpartikel vom Boden in die Kanalisation zu befördern. Die übliche Methode mit Hochdruckstrahlern versagt da; sie wirbelt den Staub offenbar sogar auf. Und nicht zu vergessen: Man kann die Parkmöglichkeiten in den verrußten Gebieten verringern. Dadurch lässt sich der Individualverkehr begrenzen. Das setzt allerdings voraus, dass man den Verkehrsteilnehmern alternative Möglichkeiten verschafft, in die Innenstädte zu gelangen. Busse, die auf für sie reservierten Spuren fahren, sind eine Möglichkeit.

ZEIT: Das alles klingt sehr nach Klein-Klein.

Troge: Ist es auch. Ich kenne kein Patentrezept – wir brauchen viele kleine Beiträge, damit die große Lösung stimmt.

ZEIT: Dazu zählt auch der Partikelfilter.

Troge: Ja, aber ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie das Umweltbundesamt vor Jahren allein gelassen wurde, auch von den Kommunen. Damals haben wir nachgewiesen, dass es auch für die Fahrzeuge des kommunalen Fuhrparks Partikelfilter gibt. Heute fährt der öffentliche Nahverkehr vielerorts noch immer nicht damit.

ZEIT: Und jetzt, in der Stunde der Not, hilft auch bessere Abgastechnik nicht. Nun rächt sich, dass die deutsche Autoindustrie jahrelang gegen den Partikelfilter mobil gemacht hat.

Troge: Die hiesige Autoindustrie hat in der Tat massiv versucht, Dieselpartikel von jedem Verdacht freizusprechen. Das hat sie dazu veranlasst, Autos zu verkaufen, die nun in bestimmten Situationen, nämlich bei hoher Feinstaubbelastung, immobil werden könnten. Eine falsche Produktstrategie war das. Der französische Hersteller PSA hat diesen Fehler nicht gemacht und beachtliche Erfolge erzielt.

ZEIT: Die Bundesregierung will den Einbau von Partikelfiltern jetzt steuerlich fördern. Die Bundesländer wehren sich dagegen, weil Nachlässe bei der Kraftfahrzeugsteuer zu ihren Lasten gehen. Ist der Widerstand berechtigt?

Troge: Ich halte eine Lösung zwischen Bund und Ländern für dringend notwendig. Sie sollten sich schnell verständigen, damit Autohersteller, Autokäufer und Kommunen endlich Klarheit haben. Mittlerweile ist fast jeder zweite neu zugelassene Pkw ein Diesel. Und weil die Kfz-Steuer für Diesel wesentlich höher als für Benziner ist, kassieren die Länderfinanzminister kräftig und können mithin auch die Förderung finanzieren.

Andreas Troge ist seit Mitte 1995 Präsident des Umweltbundesamtes in Berlin. Der promovierte Ökonom begann seine berufliche Laufbahn als Umweltreferent im Bundesverband der Deutschen Industrie. Troge, 54, ist Mitglied der CDU

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