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20.09.2006

Quelle:Frankfurter Rundschau

Teure Fahrt zur Schule

Für Frederic Pauli und seine Eltern ist die Welt noch in Ordnung. Der Elfjährige fährt jeden Morgen mit dem Bus aus Darmstadts Stadtteil Kranichstein in die Friedrich-Ebert-Schule. Frederic gehört zu jenen rund 1500 Darmstädter Schülern, für die die Stadt Darmstadt die Kosten der Beförderung übernimmt.

Diese Kosten wurden in Hessen bisher von allen Kreisen oder kreisfreien Städten als Schulträger übernommen. Allerdings wurde von der Öffentlichkeit fast unbemerkt im Herbst 2004 im hessischen Landtag mit den Stimmen der CDU-Mehrheit das Schulgesetz geändert: Von diesem Schuljahr an können die Schulträger die Eltern an diesen Kosten „angemessen“ beteiligen. „Können“ ist dabei nur scheinbar ein Ausdruck von Freiwilligkeit. Denn mit der Gesetzesänderung wurde dieser flexible Anteil formal zur „freiwilligen Leistung“ des Schulträgers. Und derartige Leistungen stehen bei den derzeit praktisch überall knappen Kassen unter scharfer Beobachtung jener Behörde, die Kreisen und kreisfreien Städten ihre Haushalte genehmigen muss. So habe etwa der Regierungspräsident Darmstadt in den Auflagen zur Genehmigung des Haushaltes 2005 den Zugriff auf die Eltern „expressis verbis“ angesprochen, klagt der Erste Beigeordnete und Kämmerer des Landkreises Bergstraße, Jürgen Lehmberg (CDU).

Im Juli 2006 beschloss der Kreistag Bergstraße unter Führung der CDU, die Eltern künftig für 33 Prozent der Kosten heranzuziehen. Nur für die weiterführenden Schulen, denn in dem Flächenkreis sei dies für Eltern von Grundschülern wegen der Entfernungen „nicht zumutbar“, argumentiert Lehmberg. Um sich gegen öffentliche Attacken abzusichern, hatte sich der Kreis vor der Entscheidung das Plazet des Kreiselternbeirates eingeholt.

Trotzdem wettert die oppositionelle SPD und rechnet eine Mehrbelastung der Eltern von jährlich 110 Euro vor. Das sei „inakzeptabel“, beschwert sich die SPD-Kreis- und Landtagsabgeordnete Karin Hartmann: „Gerade Eltern von Schülern aus ländlichen Regionen, deren Kinder meist weite Schulwege in Nachbargemeinden haben, wären davon überproportional betroffen.“

Eine soziale Komponente in die Elternbeteiligung einzubauen, „ist nicht möglich“, sagt Lehmberg. Der Grund: Die Schülerbeförderungskosten seien pauschal bereits in den Regelsätzen für Hartz IV berücksichtigt. So richtig glücklich ist der Kassenwart des Kreises mit der neuen Einnahmequelle aber nicht. Von der errechneten Einsparung von 825 000 Euro „gehen 300 000 Euro durch Gehaltstariferhöhungen wieder verloren“, schimpft Lehmberg.

Wahrscheinlich mit ein Grund, warum der Kreis Bergstraße mit seinem Vorpreschen noch alleine steht. Die Nachbarkreise lassen die Eltern trotz ähnlicher Rahmenbedingungen bisher ungeschoren. Um den Geldbeutel der Eltern der rund 4000 Schüler, die im Odenwaldkreis den ÖPNV nutzen, zu schützen, existiert ein eindeutiger Beschluss des Kreistages, keine Elternbeteiligung zu erheben. Da der Kreis Träger des Öffentlichen Personennahverkehrs ist, könnten nach grober Schätzung jährlich höchstens 200 000 Euro eingespart werden.

Ganz anders und ziemlich einzigartig die Situation im Landkreis Darmstadt-Dieburg und der Stadt Darmstadt selbst. Dort gibt es seit dem Schuljahr 1999/2000 beim gemeinsamen Verkehrsträger Dadina für 234 Euro eine Schülerjahreskarte zu erwerben. Weil dieses „Mobitick“ genannte Billett im gesamten Verkehrsgebiet, auch an Sonn- und Feiertagen und bis zum Abitur gilt, fand es reißenden Absatz und glich den zusätzlichen Aufwand für Schülerbeförderungskosten nahezu vollständig aus. Aktuell gibt es das Ticket auch im „XL“-Format. Damit können Schüler ins bayerische „Ausland“ fahren und die Strecken der Verkehrsgemeinschaft am bayerischen Untermain nutzen.

Das Aushebeln und Abschwächen der Elternbeteiligung über ein attraktives Ticket-Angebot für Bus und Bahn ist in Darmstadt und dem Kreis nicht zufällig. Schon bei der Jahresnetzkarte für Studenten, dem mittlerweile überall fast selbstverständlichen Studententicket, agierte Darmstadt bundesweit als Vorreiter.

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