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23.06.2005

Quelle:Darmstädter Echo

Kletterpartie am Bahnhof

Eberstadt: Weil die Bahnsteige zu niedrig sind, müssen Zugfahrgäste beim Ein- und Aussteigen gut einen halben Meter überwinden – Bahn: „Unverkennbar, dass hier Handlungsbedarf besteht“

Ein gutes Dutzend Fahrgäste wartet an diesem Vormittag an Gleis eins des Eberstädter Bahnhofs. Gegen 10.20 Uhr fährt der Zug ein. Es ist ein Niederflurwagen, doch von „nieder“ kann nicht die Rede sein: Gut ein halber Meter klafft zwischen dem Bahnsteig und der ersten Stufe des Waggons. Beim Einsteigen reichen sich Passagiere gegenseitig die Hände, um in den Zug zu klettern.

„Ich stand da wie blöd“, erinnert sich Mechthild Kirschner, die neulich das erste Mal den Zug Richtung Eberstadt benutzte und dort aussteigen musste. „Ich stand völlig erschrocken und hilflos vor diesem unerwarteten Problem“, berichtet die 66 Jahre alte Eberstädterin. „Mein Gesundheitszustand erlaubt mir solch einen Sprung nicht.“ Glücklicherweise hätten ihr ein paar junge Leute beim Aussteigen geholfen. „Aber die Kniegelenke schmerzten noch vier Tage!“

Mechthild Kirschners Mann war Bahnangestellter. Deswegen können sie vergünstigt Zug zu fahren. Doch diese Möglichkeit will sie nun nicht mehr nutzen. „Ich fahr’ wieder mit der Straßenbahn“, erklärt sie. „Ich kann das nicht noch mal.“ Aus Erzählungen weiß sie, dass auch andere ältere Menschen diesen Bahnhof meiden und Umwege in Kauf nehmen.

Doch ein Altersproblem scheint es nicht zu sein: Ein junger Student, der den Bahnhof häufig nutzt, betont: „Das ist auch für junge Leute schlimm. Wenn man hier mit Rad oder Kinderwagen steht, hat man eigentlich keine Chance, ohne Hilfe reinzukommen.“ Und Mechthild Kirschner fragt sich: „Fühlt sich denn niemand verantwortlich?“

Norbert Stoll vom Stadtplanungsamt antwortet auf ECHO-Anfrage: „Es ist dazu im Oktober 2001 im Auftrag der Stadt ein Planungsgutachten erstellt worden, weil der Bahnhof eigentlich unzumutbar ist.“

Laut diesem Gutachten koste die erste Baustufe, die auch die Erhöhung der Bahnsteige enthalte, rund 550 000 Euro. An diesen Kosten ist das Projekt, dessen Umsetzung einmal für 2004 angedacht war, bis heute gescheitert. „Für die Finanzierung ist die Bahn zuständig“, sagt Stoll. „Und wir müssten natürlich auch Kosten tragen, was wir so ad hoc auch nicht könnten.“

Die Bahn erklärt zu Mechthild Kirschners Kritik, dass man aufgrund unterschiedlicher Abhängigkeiten an der Situation derzeit nichts ändern könne. Man müsse erst noch die Entscheidung des Regierungspräsidiums (RP) hinsichtlich der künftigen Trassenführung der geplanten Neubau- beziehungsweise ICE-Strecke abwarten, die auch eine andere Bahnsteighöhe nach sich ziehe. Bis das RP keine Entscheidung getroffen habe, mache ein Bahnsteigumbau keinen Sinn.

Was aber, wenn sich dort jemand beim Ein- oder Aussteigen einmal verletzt? Wie steht es mit der Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht der Bahn? „Grundsätzlich handelt es sich hier um zugelassene und den allgemeinen Anforderungen entsprechende Anlagen“, erklärt die Bahn in einem Schreiben. „Dennoch ist unverkennbar, dass hier Handlungsbedarf besteht.“ Offen bleibt die Frage, wann dies sein wird.

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